Donnerstag, 12. März 2015

Wanderlust

Ich muss raus. Raus aus dieser Enge, dieser Stadt, raus aus meinen Gedanken, auf andere Gedanken kommen. Ich muss mal was anderes sehen als jeden Tag das gleiche, beengende Unigebäude, die gleichen Menschen, ständig Menschen, permanent Menschen um mich und permanente Gedanken in mir. Also los, den wohl sonnigsten Tag des noch jungen Jahres abgewartet, den Rucksack geschultert, die Sonnenbrille auf der Nase und die Sonnencreme vergessen. Ich allein, mit mir und meinen Gedanken, die ich versuchte loszuwerden.

Ich habe mich auf den Weg gemacht, auf meinen Weg. Naja nicht ganz, ich hatte einen Plan, einen Plan von meiner Wanderung, den ich aber sogleich über den Haufen werfe, als ich den Luftzug der an mir vorbeirasenden Autos spüre, auf einer stark befahrenen Straße, die sich in Serpentinen den Berg hochschlängelt. Ja, ich wollte eigentlich in die Natur, habe aber eine Abzweigung verpasst. Was soll‘s, selbst ist die Frau, denke ich mir und strecke die Hand aus, den Daumen nach oben. Und siehe da, es funktioniert, es gibt sogar echt nette Leute. Ich revidiere meine Abneigung gegen Menschen ein bisschen und bin ein bisschen stolz, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben allein getrampt bin. Passenderweise am Weltfrauentag :)

Und jetzt, fast 3 Stunden später? Jetzt sitze ich inmitten der Vulkanlandschaft und lasse mir die Sonne auf’s Gesicht scheinen, die warmen Strahlen kitzeln mich fast. Vor mir erhebt sich der wohl bekannteste Vulkan der Auvergne – Puy de Dôme – in seiner vollen Pracht, schwarz und weiß, Lavagestein und Schnee. Hinter mir liegen die achttausend Stufen, die zum Gipfel des Puy Pariou führen und die ich gerade erklommen habe. Okay, vielleicht übertreibe ich ein wenig. Ich schließe die Augen und höre von Weitem die Vögel, die der Sonne zu Ehren ein Konzert geben, ich höre leise lachende Kinder, die die Treppen rauf-und runterspringen als hätten sie Sprungfedern in den Beinen. Ich höre all das, aber doch höre ich nichts. Alles ist friedlich, alles ist ruhig. Aber in mir tobt es.


Meine Gedanken rasen, jagen sich, drehen sich im Kreis, so schnell, dass ich sie weder fangen noch anhalten, weder Anfang noch Ende ausmachen kann. Ich bin auf dem Weg, auf meinem Weg. Aber ich weiß nicht, wohin er führt, ich weiß nicht, in welche Richtung ich gehen soll, welche Abzweigung ich nehmen soll. Genauso wenig weiß ich, ob ich meine Wanderung fortsetzen oder den Rückweg einschlagen soll. Noch kann ich zurück, den Weg kenne ich, doch ich kann auch weitergehen, einfach gehen, die Landschaft und der Nachmittag liegen vor mir. Ich brauche keinen Plan, keinen Kompass, keine Karte, ich gehe einfach, folge meinen eigenen Schritten. Ich weiß nicht, wohin ich mich führe, wie anstrengend der Weg wird, ob sich der Aufstieg lohnt, was danach kommt. Wie viel Zeit ich verliere. Oder gewinne?


Ich weiß es nicht. Ich habe Angst vor dem nächsten Schritt, Angst vor dem Weg, weil ich ihn nicht sehen kann. Aber umdrehen ist keine Option, aufgeben auch nicht, also weiter. Genau diesen Weg schlagen meine Gedanken ein als ich mich auf den Weg mache, den Puy de Dôme noch zu erklimmen. Ich will mehr, ich will höher hinaus, Schranken setzen mir nur meine Gedanken. Und ich, ich gehe einfach weiter, vertraue auf meine Schritte, auf meinen Weg. Der ist eisig und verschneit, aber ich kämpfe mich weiter, höher, und werde belohnt. Mit einer Aussicht, die mein Herz schneller schlagen lässt. Zu meinen Füßen liegt die Auvergne, weiches Grün und Spielzeughäuser und vor meinen Augen fliegen Menschen, schweben mit Fallschirmen durch die Luft. Und meine Gedanken? Meine Gedanken fliegen mit.

Zurück musst ich trotzdem: Per Anhalter natürlich, mit sonnenverbranntem Gesicht und Sommersprossen, verschwitzt und erledigt, aber glücklich. Meine Füße tragen mich noch und meine Gedanken gehen mit, im Gleichschritt mit mir. 

Eure Jül

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