Gerechtigkeitshalber. Und um den Winter würdevoll zu verabschieden.
Winter.
Winter überall.
Schnee. Schnee überall. Schnee in meinen Augen, in
meiner Nase, in meinem Mund. Ich huste und blinzele und schniefe, aber sehen
und riechen kann ich nichts. Nur fühlen. Ich fühle die Eiskristalle auf der
Haut, wie sich mich pieken und stechen und in meinem Haar hängen bleiben. Ich
fühle die Kälte des Schnees neben mir, fast angenehm empfinde ich sie auf
meinem erhitzten Gesicht und stelle fasziniert fest, dass die Flocken, die sich
auf meine Nase, meine Wangen, meine Stirn setzen, sofort zu schmelzen beginnen
und in feinen Fäden an meinen Schläfen herabrinnen, sich in meinen Haaren
verlieren. Schneeflocken setzen sich auf meine Wimpern, ich sehe nur noch
weiße, bunte, unscharfe Punkte, in denen sich das schwache Sonnenlicht bricht
und zu seltsam farbigen Tupfen wird. Ich höre nichts, bin umgeben von einer
undurchdringlichen Stille, einer Stille, die mich einhüllt wie eine wärmende
Decke. Kalte Schneedecke. Und plötzlich muss ich lachen, muss die Stille
zerplatzen lassen, muss lachen, bis mir die Tränen kommen und sich mit den
Flocken vermischen, salzig und kühl. Ich muss lachen über mich selbst und meine
Tollpatschigkeit, über meinen Stolperer und meine unsanfte, aber dennoch weiche
Landung im Schnee. Ich lache über mich und das Leben, das mir so leicht scheint
in diesem Moment, in diesem Moment, der tanzt wie die Schneeflocken vor meinen
Augen.
Lichter. Lichter überall. Lichter, die mit ihrem
warmen, bunten Licht gegen die Dunkelheit und Kälte ankämpfen. Mit Erfolg, die
Stadt leuchtet und mit ihr meine Augen sowie die Augen der Menschen um mich
herum. Tausende Menschen, große, kleine, die sich alle auf dem Rathausplatz in
Lyon zusammendrängen, um möglichst viel vom Leinwandgeschehen mitzubekommen. Ich
blicke neben mich und sehe ein junges Mädchen, das wie gebannt und mit offenem
Mund auf die Hausfassade starrt, wo Leinwandprojektionen und Lichterspiele ihr
Bestes geben. Das Mädchen hat wohl alles um sich herum vergessen, fasziniert
betrachtet es dieses Lichtspektakel, das Geschichten auf Häuser malt und ein
Feuerwerk an Farben in die Luft, das dem Dunkel der Nacht kontrastiert und sich
als pastellfarbenes Gemälde auf seinem Gesicht wiederfinden lässt. Ich tue es
ihm gleich, ich tauche ein in diese bunte Lichterwelt und werde mitgerissen,
sogleich mitgerissen von meinen Mädels, die mich an der Hand nehmen und mich
weiterziehen. Als lange Menschenkette bahnen wir uns den Weg durch die Massen,
zum nächsten Schauplatz der „Fête des Lumières“.
Kälte. Kälte überall. Eine eisige Kälte, die sich
nicht von meinen zig Kleidungsschichten abhalten lässt, jegliches Leben aus meinen
Füßen und Händen gestohlen hat und meine Nasenspitze in ein hübsches Rot
getaucht hat. Ich zittere und bibbere und wippe auf und ab, aber nein, kein
Anflug von Wärme. Wir hätten in den Süden fahren sollen, denke ich mir, als ich
auf die kalten Glasfronten der Hochhäuser blicke, die nicht unbedingt dazu
beitragen, dass mir wärmer wird. So beeindruckend sie auch sind, das muss ich
zugeben. Ich greife nach der Hand neben mir, genauso eisig wie meine ist sie. „Sorry,
ich habʼ immer kalte Hände“, kommt es entschuldigend. Na was sollʼs, die Hand
will ich trotzdem nicht mehr loslassen, schön sieht sie aus, wie sie sich mit
meiner verschränkt hat. Ich erkenne winzige Härchen und lasse meinen Blick weiter
nach oben wandern, verweile auf seinem Gesicht, das mich sofort zum Lächeln
bringt. Ich sehe blau-orange, will mich hineinfallen lassen in diese Augen,
meinen Blick nie wieder abwenden und seine Hand nie wieder loslassen. Und mir
wird warm, angenehm warm an diesem kalten Wintertag, dessen frostige
Temperaturen keine Chance haben gegen die Wärme des Augenblicks.
Bilder von der talentierten Vicky, mehr hier: http://poulette-dingue.blogspot.fr/2014/12/la-fete-des-lumieres-lyon.html
Eure Jül
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