Samstag, 7. März 2015

Eine Ode an den Winter

Gerechtigkeitshalber. Und um den Winter würdevoll zu verabschieden.

Winter. Winter überall.

Schnee. Schnee überall. Schnee in meinen Augen, in meiner Nase, in meinem Mund. Ich huste und blinzele und schniefe, aber sehen und riechen kann ich nichts. Nur fühlen. Ich fühle die Eiskristalle auf der Haut, wie sich mich pieken und stechen und in meinem Haar hängen bleiben. Ich fühle die Kälte des Schnees neben mir, fast angenehm empfinde ich sie auf meinem erhitzten Gesicht und stelle fasziniert fest, dass die Flocken, die sich auf meine Nase, meine Wangen, meine Stirn setzen, sofort zu schmelzen beginnen und in feinen Fäden an meinen Schläfen herabrinnen, sich in meinen Haaren verlieren. Schneeflocken setzen sich auf meine Wimpern, ich sehe nur noch weiße, bunte, unscharfe Punkte, in denen sich das schwache Sonnenlicht bricht und zu seltsam farbigen Tupfen wird. Ich höre nichts, bin umgeben von einer undurchdringlichen Stille, einer Stille, die mich einhüllt wie eine wärmende Decke. Kalte Schneedecke. Und plötzlich muss ich lachen, muss die Stille zerplatzen lassen, muss lachen, bis mir die Tränen kommen und sich mit den Flocken vermischen, salzig und kühl. Ich muss lachen über mich selbst und meine Tollpatschigkeit, über meinen Stolperer und meine unsanfte, aber dennoch weiche Landung im Schnee. Ich lache über mich und das Leben, das mir so leicht scheint in diesem Moment, in diesem Moment, der tanzt wie die Schneeflocken vor meinen Augen.

Lichter. Lichter überall. Lichter, die mit ihrem warmen, bunten Licht gegen die Dunkelheit und Kälte ankämpfen. Mit Erfolg, die Stadt leuchtet und mit ihr meine Augen sowie die Augen der Menschen um mich herum. Tausende Menschen, große, kleine, die sich alle auf dem Rathausplatz in Lyon zusammendrängen, um möglichst viel vom Leinwandgeschehen mitzubekommen. Ich blicke neben mich und sehe ein junges Mädchen, das wie gebannt und mit offenem Mund auf die Hausfassade starrt, wo Leinwandprojektionen und Lichterspiele ihr Bestes geben. Das Mädchen hat wohl alles um sich herum vergessen, fasziniert betrachtet es dieses Lichtspektakel, das Geschichten auf Häuser malt und ein Feuerwerk an Farben in die Luft, das dem Dunkel der Nacht kontrastiert und sich als pastellfarbenes Gemälde auf seinem Gesicht wiederfinden lässt. Ich tue es ihm gleich, ich tauche ein in diese bunte Lichterwelt und werde mitgerissen, sogleich mitgerissen von meinen Mädels, die mich an der Hand nehmen und mich weiterziehen. Als lange Menschenkette bahnen wir uns den Weg durch die Massen, zum nächsten Schauplatz der „Fête des Lumières“.


Kälte. Kälte überall. Eine eisige Kälte, die sich nicht von meinen zig Kleidungsschichten abhalten lässt, jegliches Leben aus meinen Füßen und Händen gestohlen hat und meine Nasenspitze in ein hübsches Rot getaucht hat. Ich zittere und bibbere und wippe auf und ab, aber nein, kein Anflug von Wärme. Wir hätten in den Süden fahren sollen, denke ich mir, als ich auf die kalten Glasfronten der Hochhäuser blicke, die nicht unbedingt dazu beitragen, dass mir wärmer wird. So beeindruckend sie auch sind, das muss ich zugeben. Ich greife nach der Hand neben mir, genauso eisig wie meine ist sie. „Sorry, ich habʼ immer kalte Hände“, kommt es entschuldigend. Na was sollʼs, die Hand will ich trotzdem nicht mehr loslassen, schön sieht sie aus, wie sie sich mit meiner verschränkt hat. Ich erkenne winzige Härchen und lasse meinen Blick weiter nach oben wandern, verweile auf seinem Gesicht, das mich sofort zum Lächeln bringt. Ich sehe blau-orange, will mich hineinfallen lassen in diese Augen, meinen Blick nie wieder abwenden und seine Hand nie wieder loslassen. Und mir wird warm, angenehm warm an diesem kalten Wintertag, dessen frostige Temperaturen keine Chance haben gegen die Wärme des Augenblicks.


Eure Jül

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