Donnerstag, 27. Oktober 2016

#juleimlanddertausendhügel – Zweite Eindrücke

Vielleicht es gut und wichtig, nicht mehr so geblendet zu sein vom besten Land Afrikas. Denn auch wenn die Sonne hier hoch im Zenit steht, fallen Schatten. Alles, was glänzt, muss erst einmal von jemandem poliert werden. Und die dreckigen Putztücher sammle ich nun auf, eines nach dem anderen, mühsam. Frust macht sich breit.


Dass ich keinen Plan mehr habe ist allgemein bekannt. Dass das aber meinen Fokus verschoben hat, ist neu. Interessant zu merken, dass sich neue Perspektiven auftun, einfach dadurch, dass ich keinen Fokus mehr habe, ihn verloren habe, auf dem Weg. Dass dieser nicht mehr sauber ist, nicht mehr asphaltiert, sondern staubig, roter Sand, wie die meisten Wege hier.


Noch nie war ich von Menschen so genervt. Außer vielleicht von Menschenmassen auf der Oxford Street an einem Samstagnachmittag, nicht wahr, Schwesterherz. Aber jetzt zu merken, dass dieses Interesse nur geheuchelt ist, dass ein anderes dahintersteckt, tut weh. Schon wieder verschlucke ich mich an meiner eigenen Naivität, zu süß war der Geschmack. Und wieder werde ich kälter, werde mir selbst einfach nehmen. Was wollt ihr denn? Mein Geld, einen Flug, meinen Körper, ein Versprechen, mein Versprechen? Sicher nicht meine Wahrheit, denn die ist nun einmal doch eine andere. Was will ich denn? Deine Kontakte, deine Zeit, dein Lachen. Deine Nähe, vielleicht. Vielleicht will ich auch nur meine Ruhe.


Jetzt muss ich diesen Frust zusammen mit meiner Naivität hinunterschlucken, um die nächste Stufe zu erreichen. Um gelassener zu werden oder gleichgültig. Es wird mir egal sein, ich weiß es. Und dann werde ich anders egoistisch sein als ihr, mir einfach nehmen, was ich will. Ohne Rücksicht auf Verluste. Auch dein Herz?


Füße, die sich auf dem Trampelpfad vor mir bewegen. Leichtfüßig und barfüßig und dennoch, unendlich langsam. Auch wenn mir die Hitze zu schaffen macht, ich ständig stolpere, möchte ich doch vorankommen. Und nicht in diesem Tempo, schneller. Diese Langsamkeit macht mich aggressiv. Und das vermutlich nur, weil ich ungeduldig mit mir selbst bin.


Wozu denken? Wozu hinterfragen, reflektieren, kritisieren? Wozu leben?

Der Vergleich macht mich wütend. Kampala und Kigali, Kontrastprogramm. Natürlich ist Kampala größer. Und bunter, lebendiger, dreckiger, chaotischer, lauter, gefährlicher. Anstrengender? Oder ist es diese Stille, die ich in Kigali nun anstrengend finde, die Staubschicht die auf dieser sauberen Stadt liegt und sie umhüllt wie eine Glocke. Die Luft wird knapp in jeder Unterhaltung, auf jeder Party, bei jedem Blickwechsel. Selbst die Farben sind staubig, deine Augen auch.


Je länger ich hier lebe, desto wichtiger wird das, was wirklich wichtig ist. Freiheit. Was für ein Luxusgut. Ein Zustand, der so leicht einzuschränken und so schwer zu erreichen ist. Selbst ich, geboren in einem freien Land mit tausenden Möglichkeiten, frei in meiner Wahl, merke, wie die Gesellschaft mir Fesseln angelegt hat. Diese nach und nach zu durchtrennen fühlt sich paradoxerweise so an, als würde ich Perlen von meiner Lieblingskette abreißen. Nackter Hals, nackte Gedanken, verletzlich.


Und ja, fast vergessen: Freiheit findet vor allem in deinem Kopf statt.


Fast mechanisch nehme ich den Motohelm von meinem Kopf, drücke dem Fahrer einen zerknitterten Schein in die Hand und murmele ein Dankeschön auf Kinyarwanda. Sehe weder das überraschte Gesicht des Fahrers, noch die Rufe der anderen, noch die anzüglichen Blicke des Typen neben mir. Fast stolpere ich über einen Haufen toter Hühner, renne einen der unzähligen Handy-Guthaben-Verkäufer über den Haufen und bahne mir den Weg zu meiner Lieblingsschneiderin. Durchatmen. Stoffbahnen, bunt, in allen Farben mit den schönsten Mustern. In meinem Kopf entstehen 58 Ideen für ein Kleid und einen Rock und überhaupt einen kompletten Schrank voll neuer Kleidung. Ich überlege, was ich will und entscheide mich. Und nehme auf einmal wieder alles um mich herum wahr, Marktgeschrei, das Rattern der Nähmaschinen, die Hände von unzähligen Verkäufern an mir. Der Duft von Maracuja und Ananas vermischt sich mit dem Gestank von Frischfleisch in der Mittagshitze und mein gestresstes Gemüt lässt sich von meinem Grinsen ablösen. Beschwingt springe ich über den Hühnerhaufen zurück zum nächsten Moto und wundere mich, wie sehr doch alles von meiner Stimmung und meiner Perspektive abhängt, während der Trubel der Stadt an mir vorbeizieht.


Als wäre ich dein neues Handy, an dem du rumspielen kannst. Als wäre ich ein offener Geldbeutel, an dem du dich bedienen kannst. Als wäre ich ein Stück Ziegenfleisch, das du nach Lust und Laune zubereiten kannst. Widerlich. Ich bin weg, hast du ja gemerkt.


Diese Reaktionen machen mich wütend, definitiv. Als hätte nur ein Mann das Recht, so zu reden. Als hätte nur ein Mann das Recht, sich zu vergnügen. Als hätte nur ein Mann das Recht auf eigene Entscheidungen. Als hätte nur ein Mann das Recht, eine Frau anzuschreien. Blöd, dass ich so ein lautes Organ und so viel Wut in mir habe. Auf dich, auf diese Geschlechterkonstruktionen und diese Gesellschaft. Und auf mich, dass ich nicht souveräner damit umgehen kann.


Ich lasse mir nichts vorschreiben. Nicht von dir, der du meinst, du könntest mich zu einer Begrüßung zwingen, die ich nicht angemessen finde. Nicht von dir, der du meinst, du könntest es einfordern, mich zu kontrollieren. Nicht von dir, der du meinst, welches Essen und welcher Lebensstil gut für mich wären. Das weiß ich schon selbst. Oder weiß es nicht und flieg‘ auf die Fresse und schmecke Blut und lerne daraus. Vielleicht lerne ich ja sogar von dir. Aber nicht, weil du mich erziehst oder belehrst, sondern weil es das Leben tut.


Wahrscheinlich muss ich das hier gar nicht alles gut finden, muss es auch nicht verstehen, werde ich eh nie. Wahrscheinlich ist es genug, zu beobachten. Zu erkennen, zu kritisieren, zu hinterfragen. Es nicht zu verstehen und es dabei zu belassen. Wahrscheinlich ist das die größte Kunst: es dabei belassen, dabei gelassen bleiben, Akzeptanz, simpel und radikal. So weit bin ich noch nicht, er war schneller. Seine Souveränität fehlt mir noch, sein Umgang damit. Das kann ich definitiv lernen: den Kopf schütteln, grinsen über diese Andersartigeiten und weitergehen.


Das kann auch Spaß machen. Du starrst mich an, starrst mich an als wäre ich grün und nicht weiß, starrst mich an als hätte ich Taubenkacke auf der Stirn und Erdnüsse in der Nase. Und nun? Starre ich zurück. Starre zurück, verdrehe die Augen, ziehe eine Schnute und forme ein „U“ mit meiner Zunge. Und bringe dich damit zum Lachen, na geht doch. Mission erfüllt.


Schwarz ist nicht Weiß und Weiß nicht Schwarz und so viel ist dazwischen. Wir sind alles gleich und sind es nicht. Aber unser Lachen hat die gleiche Farbe, unser Lachen ist bunt. 


Jule