Freitag, 30. September 2016

Auf der Suche, immer noch. Immer noch nicht angekommen?

Er erzählt, schon eine ganze Weile. Ich höre zu, spiele gedankenverloren mir der Serviette auf dem Tisch vor mir und spüre fast nicht, wie mir Tränen in die Augen steigen. Woher dieser Druck? Er erzählt doch nur. Von seinem Leben, seinen Träumen, seinen Zielen. Was er erreichen, verändern will. Was er will. Und du, was willst du werden, wo willst du hin?

Ich weiß es nicht. Weiß nicht, was ich hier mache, was ich will und was ich bin. Wer ich bin. Bin auf der Suche. Wonach?

Er erzählt von seinen Plänen, lacht dabei, malt sie vor mir in die Luft zwischen uns, bunt und abstrakt. Und doch so real, so greifbar. Seine Augen leuchten, wenn er davon redet. Wenn er davon redet, wo er hinwill. Sein nächstes Projekt. Und dann das. Und das dann am besten so. Und er hat es verdient, mehr als jeder andere. Er hat dafür gekämpft.

Ich wohl auch, habe gekämpft, lange genug. Aber nicht für das, was ich will. Vielmehr für das, was mich daran gehindert hat, erkennen zu können, was ich will. Oder so. Ist das verständlich, ist das denn möglich?

Er schweigt. Sieht mir in die Augen. Schön sind sie, schokoladenbraun, aufmerksam, fragend. Wenn ich nur auch so lange, dunkle, fein geschwungene Wimpern hätte. Wieso blinzelt er nicht? Unruhig rutsche ich auf der unbequemen Holzbank hin und her, ziehe an meinem Rock herum, der ein wenig zu kurz ist für dieses Land. Ich starre angestrengt auf den frisch gepressten Saft am Nebentisch und versuche, der hellgelben Farbe einen Namen zu geben. Gesprenkeltesananasgelbimmorgenlicht. Jule, was willst du, was willst du tun, erreichen, sein?

Ich weiß es nicht, verdammt. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich keinen Plan. Planlos, orientierungslos. Lasse mich treiben und es ist wunderbar. Im Moment, in diesem Moment. Da schwimme ich einfach mit dem Strom und nehme alles mit. Treibgut, ohne Ballast. Aber auch ohne Ziel. Ich habe ein Steuer und kann es nicht benutzen. Habe Hände und kann nichts greifen. Habe Ideen und kann sie nicht fassen. Wohin damit, wohin mit mir?

Wir sind auf der Suche. Nach Abenteuern. Nach neuen Herausforderungen, Begegnungen, nach coolen Partybekanntschaften. Nach tiefen Freundschaften und nach leidenschaftlichen Nächten. Wir sind auf der Suche nach mehr. Nach mehr Spontaneität, Verrücktheit, Aufregung. Nach mehr Loslassen. Auf der Suche nach Wissen, nach Erfolg, nach Erfüllung. Auf der Suche nach uns selbst. Wir verlieren uns selbst auf der Suche nach uns selbst, sind ohne Kompass, orientierungslos. Planlos verplant. Wir verlieren unsere Werte auf der Suche nach Ekstase, geben uns hin, vergessen uns selbst. Und alle anderen. Egoist. Wir verlieren unsere Träume im Triebsand dieser Konsum-, in dieser Konkurrenzgesellschaft. Schneller, höher, weiter. Besser. Mehr.

Ich will mehr. Ich will mich nicht nur treiben lassen, nicht nur mit dem Strom schwimmen. Dagegen. Kämpfen. Für mich, für andere. Für Veränderung. Ich will, dass das, was ich mache, einen Sinn hat, dass meine Existenz einen Sinn hat. Ich will gegen die Strömung schwimmen und gegen den Strom, will gegen Wände laufen und daran hoch. Will fliegen lernen und andere beflügeln. Freiheitskampf.


Ich weiß, was ich will, jetzt brauche ich nur noch einen Plan. Ich geh‘ mal suchen. 

 Jule