Mittwoch, 28. Oktober 2015

Öfter mal...eskalieren

Das meine ich positiv. Eskalieren im positiven Sinne. Denn dieses Wort hat eigentlich eine negative Konnotation, eine negative Bedeutung. Eskalation meint die Verschärfung eines Zustands oder einer Situation. Steigerung, immer höher, immer weiter, in den meisten Fällen immer schlimmer. Gespräche können eskalieren, Konflikt, Streit, Schlägerei. Verhandlungen können eskalieren, Respektlosigkeit, Beleidigungen, Beschimpfungen, Demütigung. Schon vorhandene Konflikte können eskalieren, sich verschlimmern, ausarten. Unkontrollierbarkeit. Alles Worte, die uns tagtäglich zu Ohren kommen, die uns in Schwarz und Großbuchstaben auf den Titelseiten der Zeitungen entgegenspringen.

Springen ist mein Stichwort. Nach oben springen. Eskalation bedeutet nämlich ganz allgemein, dass ein Zustand oder eine Situation eine qualitativ höhere Stufe einnimmt. Warum nicht im positiven Sinne? Warum nicht all den negativen Schlagzeilen etwas entgegensetzen? Warum nicht positiv eskalieren? Denn ja, ich bin der Meinung, auch positive Gefühle können eskalieren.
Dieses Flattern in der Magengegend, kleines Kribbeln, aus dem auf einmal Schmetterlinge werden, Schwärmerei für einen Menschen, die zu ernsthafter Verliebtheit führt und in echter Liebe eskaliert. Sympathie für einen Menschen kann eskalieren. Ich habe ihn gesehen, ganz kurz nur, da, am Bahnhof. Und dann dieser Wortaustausch, Small Talk eigentlich. Die Art, wie er mit seinen Händen Gesagtes unterstreicht, seinen Kopf schief legt, lächelt, ein bisschen schief. Und dann dieses Gespräch, das so vieles geheim hält und doch so vieles offenlegt. Und das meine anfängliche Sympathie für diesen Menschen eskalieren lässt, sie artet aus, in komischer Faszination und ehrlichem Interesse. Empathie kann eskalieren, finde ich. Da wird man vielleicht urplötzlich Vertrauensperson, war es vorher nie, nicht für sie, und fühlt sich geehrt, möchte zuhören und da sein und wird berührt von ihrer Geschichte, ihren Gedanken, ihrem Leid. Und möchte helfen, dringend, jetzt und effektiv. Wenn Empathie eskaliert, vergisst man einen Moment – oder mehrere - seine Probleme und wird mitgerissen von demjenigen, der sich uns anvertraut hat, dessen Geschichte und Gefühle wir kennengelernt haben. Und man wird Teil davon.

Springen ist immer noch mein Stichwort. Ich bin gesprungen, bis in den Himmel (quasi) und darüber hinaus, bin gefallen. Ich war Teil davon. Ich war Teil von dieser großen, singenden Menschenmasse, die eindeutig eskaliert ist. Ich war auf diesem Konzert und bin mitgerissen worden. Eskalation Deluxe. Die Luft ist aufgeladen, Kurzschlussgefahr, unerträgliche Hitze, so viel Energie. Eine Energie, die uns alle erfasst, uns mitreißt, uns zum Glühen bringt und Emotionen überkochen lässt. Eine Energie, die so ansteckend ist, dass ich nicht anders kann als ihr durch Springen Raum zu geben, immer weiter, immer höher, pure Ekstase trotz totaler Erschöpfung. Die Musik ist zu laut, die Luft zu stickig, der Raum zu eng. Und trotzdem bin ich frei, bin am Ende, habe Spaß ohne Ende. Und reiße die Fäuste hoch.

Eskalation bewegt Dinge, schiebt sie weiter, eine Stufe höher, mehrere Stufen. Eskalation funktioniert besser in der Menge, ist ansteckend, breitet sich aus wie eine Krankheit. Eskalation sollte unser Motto werden, positive Eskalation. Und nein, ich meine nicht nur Euphorie, Eskalation geht tiefer, ist beständiger, verfliegt nicht gleich. Was ist dir wichtig? Welche Werte, Einstellungen? Wofür willst du kämpfen? Gleichheit, Respekt, Freiheit, Ehrlichkeit, Transparenz, Gemeinschaft, Toleranz. Für wen willst du kämpfen? Nicht nur für dich. Für ihn, für sie und für uns. Für eine bessere Welt natürlich. Und jeder von uns ist dafür wertvoll, jeder hat Ideen, Vorschläge, Talente. Die kann man zusammentragen und addieren und eskalieren lassen. Die kann man verbreiten, Funken, kleine Funken überall und dann fängt alles Feuer. So viel Hitze, die was bewirken kann.

Lasst uns zusammen eskalieren. Für ein gemeinsames Ziel, für eine bessere Welt, für Freiheit. Lasst uns positiv eskalieren für die Freiheit, die uns so wichtig ist und die viele noch nicht haben, für die Sicherheit, dank der wir springen können ohne tief zu fallen. Eine Sicherheit, die viele Menschen so nicht kennen. Die nur Eskalation kennen, negativ gemeint.



Und wir hören dieses Lied, reißen die Fäuste hoch, keiner unserer Träume bleibt eine Utopie. Denn alles scheint greifbar. 

Eure Jül

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Klartext

Folgenden Text habe ich schon vor - so kommt es mir vor - langer Zeit geschrieben. Er ist nicht mehr aktuell. Ich habe meine Zeit gebraucht, um Klartext zu reden, vor allem mit mir selbst. Das ist noch aktuell, das ist wichtig.
Außerdem wichtig: Meine Texte sind immer vom Leben inspiriert, mal von dem der anderen, oft von meinem. Mal realitätsgetreu, mal fiktiv, mal Träumerei. Manchmal Hirngespinst, manchmal Wahrheit. Sucht euch raus, was euch gefällt ;)


Samt und weich, samtweich. Rau zugleich, Härchen, die piksen. Bartstoppeln, die kitzeln. Haut auf Haut. So nah bist du, aber so weit weg. Kein Zentimeter trennt uns und doch so viel. Welten liegen dazwischen. Raum zwischen uns, zwischen dir und mir. Türen, die verschlossen werden. Du verschließt sie. Ich weiche zurück, ich verschließe mich. Tresor, Abstand halten, Sicherheitsabstand. Habe Angst verletzt zu werden, Angst vor der Wahrheit. Angst davor, den Raum zu füllen, ihn zu füllen mit den Worten, die gesprochen werden müssen.

Worte, die in meinen Gedanken so präsent sind, die wichtig sind, für dich, für mich, für uns. Worte, die wahr sind, die die Wahrheit beschreiben, die bittere Wahrheit. Wir wissen es beide, doch keiner spricht es aus. Meine Gedanken werden immer klarer, immer drängender und fordernder, wollen ausgesprochen und gehört werden. Aber ich will vergessen, will nur fühlen. Will den Raum durchschreiten, die Distanz verkleinern. Ohne Abstand, Haut auf Haut. Ohne Luft dazwischen, keine Luft zum Atmen, mir den Atem rauben lassen. Vergessen, hier und jetzt. Den Moment genießen, die Distanz ignorieren, Schranken überschreiten und Dummheiten begehen. Mir doch egal. Mir doch egal, wenn ich im Kreis renne, mich um mich selbst drehe, Gedankenkreisen.

Aber es geht nicht, ich muss raus aus diesem Hamsterrad. Ich weiß, was ich tun muss. Aber ich weiß auch, dass es dann kein Zurück mehr gibt, keinen Platz für Träume, kein uns. Worte, die verändern, sollte ich sie aussprechen. Als hätte ich Angst, dass deren Klang diese Ruhe zerbricht, Stille zerschneidet, Scherben hinterlässt und Narben. Als hätte ich Angst, dass deren Bedeutung zu viel bedeutet, zu viel zerstört, was von Bedeutung war. Worte, die mir auf der Zunge liegen, mir aber nicht über die Lippen kommen.

Lippen, deine Lippen, ich will sie berühren, will, dass du mich küsst. Will, dass die Spuren, die deine Lippen auf meinen hinterlassen, sich nie verflüchtigen. Will sie festhalten, will dich festhalten. Ich will den Sommer einfangen, die Luft um uns, erhitzt, Glühwürmchen. Ich muss Klartext sprechen, Klarheit schaffen. Sonst komm‘ ich hier nie wieder raus, nicht ohne alles kaputtzumachen. Vielleicht ist noch ‘was zu retten, vielleicht fangen meine Worte den Aufprall ab, Polster, Airbag. Vielleicht muss ich den Abstand vergrößern, um dir näher zu sein. Vielleicht steht das in den Sternen, wer weiß es schon. Sternschnuppen und ich hät‘ mir etwas anderes wünschen sollen. Hätte mich nicht so hingeben sollen, hätte die Notbremse ziehen sollen. Vollbremsung, Aufprall.

Aber ich bereue nichts, sage ich mir, sage ich dir. Und ich sage dir alles, was ich schon lange hätte sagen sollen. Ich bin stark, ich tu‘ zumindest so und spreche Klartext. Lege alles offen, alles auf Eis. Bin jetzt durchschaubar, transparent. Alles ist jetzt Glas und ich stehe hier und hoffe, dass es nicht zerbricht.

Die Umrisse der Hochhäuser vor meinen Augen werden schärfer, klarer, die Erinnerung verschwommener. Ich lehne mich an den Fensterrahmen, und spüre die Kühle der Fensterscheibe auf meiner Stirn als ich nach unten blicke und dem Gewusel an Menschen zusehe. Ja, ich hab‘ mal wieder ‘was gelernt, für’s Leben natürlich. Ich habe gelernt, dass es nichts bringt, Wörter und Sätze für mich zu behalten, die Klarheit schaffen können, die Klarheit schaffen müssen. Dass es nichts bringt, mich in meiner Traumwelt zu verlieren, auf einem Weg, der eine Sackgasse ist. Dass ich der Wahrheit in’s Gesicht sehen muss, auch wenn der Anblick vielleicht echt nicht schön ist. Und ja, ich merk’s mir für das nächste Mal, manche Situationen klären sich nicht von selbst, Streit schlichtet sich auch nicht allein, Dinge, die totgeschwiegen werden, bleiben lebendig. Und da braucht es ab und an etwas Mut, etwas Überwindung, um diese Dinge an’s Tageslicht zu bringen, beim Namen zu nennen.


Und danach? Danach versöhnen sich vielleicht zwei Menschen, merken vielleicht, dass alles nur ein Missverständnis war, falsche Interpretation. Danach gehen vielleicht zwei Menschen auseinander, im Guten, weil die Sachlage anders ist, weil sich vieles verändert hat. Danach ist man vielleicht mehr bei sich, mit sich selbst im Reinen, kann neu anfangen. Auf Weiß und ohne Zweifel. Vielleicht gibt danach einfach nur die Klarheit Sicherheit, zu wissen, was ist und was nicht. Zu wissen, dass man sich vielleicht doch nicht alles eingebildet hat oder doch zu viel. Erkennt sich selbst und kann sich hinterfragen, kann sein Verhalten und das der anderen deuten. Wenn man Klartext redet, Klarheit schafft. 

Jule

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Lebe lieber intensiv

Dröhnende Musik in meinen Ohren, wummernde Bässe, so laut, so heiß. Die Luft bebt vor Hitze, vor Klängen, vor Leben und ich atme, bin außer Atem. Muss mich bewegen, muss tanzen. Immer schneller, ich schließe die Augen, sehe nichts mehr, lass‘ mich nur mitreißen von dieser aufgeladenen Stimmung, bin nicht mehr hier und doch ganz bei mir. Ich merke, wie mir heiß wird, zu heiß, bin in einem Wahn, Fieberwahn. Ich lache und reiße andere Menschen mit, lass‘ mich berühren, ich lass‘ mich gehen. Und es fühlt sich gut an, verdammt gut, so verdammt frei.

Ich denke nicht, ich lebe. Ich plane nicht, ich mache. Nein, nicht immer, aber in diesem Moment und in einem anderen und überhaupt viel öfter. Ich feiere diese Reise, diese Nacht, ihn und mich, diesen Moment, dieses Lied, das alles und noch viel mehr. Ich will noch mehr. Ich bin noch nicht satt, noch lange nicht, ich muss so vieles nachholen, so vieles noch erleben, so vieles, was ich auf einmal alles haben kann. Absolute Freiheit. Unabhängigkeit. Das schmeckt noch viel süßer als Zucker, macht noch süchtiger, nach mehr, nach noch mehr Freiheit. Diese Menschen, Komplimente, Berührungen, diese Musik, so viel, was mir zu Kopf steigt, mich benebelt. So viel, was mich leicht fühlen und leichtsinnig werden lässt.

Ich denke nicht, ich will mehr von diesem Glücksgefühl, das so süß schmeckt und mich fast abheben lässt vor Leichtigkeit, totale Euphorie. Ich denke nicht, ich lebe, lebe intensiv. So intensiv, dass ich vielleicht Dummheiten begehe, Risiko eingehe, mich aus dem Fenster lehne, mit dem Feuer spiele, mit ihm tanze. Das habe ich viel zu lange nicht mehr gemacht, viel zu vernünftig war ich. Und jetzt? Springe ich so waghalsig, dass ich von meinem eigenen Mut – oder Leichtsinn – überrascht bin. So überrascht, dass ich noch verrücktere Ideen habe. Was, wenn ich stolpere, falle, mich verbrenne? Dann hab‘ ich ‘ne Geschichte, hab‘ was zu erzählen und hab‘ gelebt, intensiv.

Lächeln, funkelnde Augen. Lippen auf Haut. Kribbelnde Nähe. Lachende Gesichter. Meine Hand in deiner. Worte und Melodien, Klänge und Gesang, viel zu viel Schnaps, Nähe, noch mehr, noch mehr Nähe. Und ich bin immer noch frei, ich kann machen, was ich will. Und ich will so viel, am besten alles jetzt und alles auf einmal, ich will die totale Reizüberflutung. Sehen, Riechen, Hören, Schmecken. Fühlen, ich will das alles fühlen, spüren, will mich endlich spüren und dieses Leben, das so schmerzhaft und so schmerzhaft schön sein kann. Und ich hab‘ keine Angst, ich freu‘ mich drauf.


Nein, ich bin nicht verrückt geworden, bin immer noch vernünftig. Ich denke an morgen und an nächste Woche und an nächstes Jahr, schreibe To-Do-Listen und kritzele 3-Jahres-Pläne auf Kassenzettel. Aber ich habe keine Angst vor dem Morgen, ich weiß, dass ich nicht alles beeinflussen kann, dass vieles einfach kommen wird und dass vieles einfach gut sein wird. Und ich weiß, dass Zeit schnell vergeht, zu schnell, dass ich schon zu viel Zeit verschwendet und verloren habe und das will ich nachholen. Ich will meine Zeit füllen mit Momenten, die so intensiv sind, dass ich mich jederzeit so daran erinnern kann, dass sie wieder greifbar werden. Ich will meinen Kopf ein bisschen ausschalten, kenne das Risiko und die Folgen, ignoriere bewusst und lebe. Lebe bewusster. Ich lebe lieber intensiv. 


Eure Jül

Donnerstag, 1. Oktober 2015

Bunte Kiste: September 2015

Rastlos, Unterwegs. Heimweh und Fernweh. Reisefieber. Wiedersehen. Neues sehen. Anders sehen.


Gefreut über: Wiedersehen, Zeit mit alten Freunden, Experimente in der Küche, Flohmarktfunde, erste Slacklineversuche, Komplimente, meine geile Berlin-Liste, ganz viel Cider, dreckige Witze, meine neu entdeckte Spontaneität, Busch-Tee, Hafenatmosphäre in Hamburg, den Fotoautomat, diese heruntergekommenen und wunderschönen Hausfassaden in Budapest, Donaubrücken, Sonne satt, Turó Rudi, „Willst du“ in Ungarn und Partynächte

Geärgert über: einen ziemlichen Fehltritt. Und natürlich über meine verlorene Stimme, meine strähnigen Haare und meinen kaputten Handyakku. Und Alu in der Mikrowelle :D

Auszüge aus meinem Tagebuch:

Ich war also auf dem Rückweg, saß auf meinem Fahrrad und strampelte, was das Zeug hielt, aber kam nicht vorwärts. So viel Gegenwind. Und diese ganze Situation war so absurd, so ironisch, so real, dass ich lachen musste. Bis mein Mund voller Wind und ich außer Puste war. Vorwärts gekommen bin ich trotzdem, langsam und mit viel Anstrengung. Ich nehm‘ das jetzt mal symbolisch, darf nicht aufhören in die Pedale zu treten.“

„Ich hasse solche Übergangszeiten, wenn ich verzweifelt nach meinem Platz suche, ihn aber nicht finde, wenn alles schwammig ist und ich nicht weiß, wo ich eigentlich hingehöre. Dabei gibt es diesen einen Platz nicht, nicht für mich. Bin überall ein bisschen Zuhause.“

„(…) Dinge einkasteln, in Schubladen stecken. Meine Gefühle auch. Ich glaube, das geht jetzt, irgendwas ist anders.“

„Einen Plan zu haben ist gut. Sich treiben lassen ohne zu wissen, wo man ankommen wird, manchmal fast noch besser.“

„Und trotzdem bin ich die Chefin mit der Liste. :)“

„Ich kann’s nicht immer allen recht machen. Kann’s ja nicht mal mir selbst recht machen.“

„Von wegen ich bin anstrengend. Andere können mindestens genauso anstrengend sein. Kein Grund mich schlecht zu fühlen also ;)“

„Immer dann, wenn ich anfange zu tanzen, mit dem Wind zu tanzen, kommt eine Böe und trifft mich. Genau dann, wenn ich gerade auf einem Bein stehe, mutig werde, springe. Es ist zu leicht leichtsinnig zu werden, vor allem, wenn alles so leicht scheint.“

„Los geeeeht’s! Ich hab‘ keine Ahnung, was mich auf dieser Reise erwartet, aber genau das find‘ ich super. Überraschungseffekt. :)“

„Müde, aber glücklich. Ihn wiedergesehen, sie auch, endlich. Nach so langer Zeit. So viele Erinnerungen, Bilder, Farben. Buntes Fotoalbum. Jetzt kommt neues Material dazu, ich freu‘ mich drauf!“

„Krass, sie glaubt so stark, ist so sicher. Und ich bin so auf der Suche. Ich finde zwar auch, suche aber immer weiter.“

„Wahnsinn, was Zeit verändert, was andere Menschen verändern, was eine Nacht verändern kann. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal an diesen Punkt komme, aber meine Wahrnehmung ist jetzt eine andere, meine Gefühle sind anders. Bin auch ich jetzt anders?“

„Yeees, hab‘ eine weitere Schnur durchtrennt, eine wichtige. Bin keine Marionette mehr.“



Und der Oktober?


Ich freue mich auf: meine Geburtstagsfeierei, die letzten Stunden mit Schwesterherz, ein neues Kapitel, ein Konzert, einen geregelten Tagesablauf und Regensburg, endlich wieder! :)

Jule

Freitag, 18. September 2015

Die Kunst des Loslassens

Ich kann gut zeichnen, malen, schreiben. Kann gut nachdenken, reflektieren, philosophieren. Ich kann gut planen und organisieren, kann gut fantasieren. Ich kann nicht loslassen, kann es nicht gut sein lassen.

Menschen um mich, ich in der Menge, ich sehe rot, sehe rote Menschen, eine rote Menschenmenge. Künstler, Artisten, Jongleure, ein Festival der etwas anderen Art und ich mittendrin. Bin aufgedreht. Kichere albern und schieße tausend Fotos, knipse wild um mich, drehe mich wild um mich. Er lacht, lacht mich ein bisschen aus. Freut sich über meine Freude, er passt auf, dass ich in meiner Euphorie nicht stolpere, nicht gegen Menschen und Dinge renne. Ich will mittendrin sein, nein, ganz vorne. Ich will auch einen Luftballon, einen roten. Die werden aber nur auf der anderen Seite verteilt, sowas Ungerechtes. Ich springe, winke, kreische und dieser rote Stelzenmann bemerkt mich. Bemerkt mich, grinst und gibt mir einen Luftballon, den letzten. Vor Aufregung lasse ich fast meine Kamera fallen. Warte auf den Countdown. Halte ihn fest, ein bisschen krampfhaft. Spüre wie die Schnur in die Haut meiner Finger einschneidet, das sanfte Gewicht des Ballons, der frei sein will. 5…4…3…2…1…


Ich kann gut zeichnen, malen, schreiben. Kann gut nachdenken, reflektieren, philosophieren. Ich kann gut planen und organisieren, kann gut fantasieren. Ich kann nicht loslassen, kann es nicht gut sein lassen.

Menschen, die ich festhalten will, Erinnerungen, Gefühle. Vergangenes. Ich möchte all das Schöne, was ich erlebt habe, für immer konservieren. In Gläser füllen und bei Bedarf herausholen, Deckel auf, riechen, eintauchen. Marmeladenglasmomente. Ich möchte die letzte Reise festhalten, den Sonnenuntergang, den Sommerabend dort und diese eine Nacht, gute Gespräche, dein Lächeln, das Gefühl stolz auf mich sein zu können, das Gefühl angekommen sein und Glücksmomente. Aber all diese Momente sind vergangen, kommen nicht wieder. Und wenn ich all das festhalten möchte, tue ich mir vielleicht selbst keinen Gefallen. Dann bin ich abhängig von der Vergangenheit, von Vergangenem, beraube mich meiner eigenen Freiheit. Schränke mich ein. Vergleiche. Erwarte. Werde enttäuscht. Denn all diese Momente werden nicht wiederkommen, all die kommenden Reisen, Sommerabende, Nächte, Gespräche und Glücksmomente werden anders sein. Und das ist auch gut so. Sie sind einzigartig. Alles, was war, war besonders und alles, was kommend wird, wird anders, anders besonders sein. Und es werden andere besondere Momente kommen, ich muss nur offen dafür sein. Und das bin ich wohl nur, wenn ich loslasse.

Menschen, die ich nicht festhalten kann. Und es auch nicht sollte. Beziehungen, die mich einschränken. Mir die Luft zum Atmen nehmen. Ballast abwerfen. Ja, ich halte fest, halte Menschen fest, halte mich an Menschen fest. Mir ist das wichtig, mir sind diese Menschen wichtig, der Kontakt zu ihnen, egal wo und wie. Aber wenn nur ich Kontakt halte, nur ich festhalte, dann wird das anstrengend. Dann muss ich loslassen, versuchen zu akzeptieren, dass Menschen sich verändern. Dass Freundschaften sich verändern, vielleicht keine Freundschaften mehr sind und ich sie gehen lassen sollte. Das ist traurig, aber diese Menschen und Momente gab es, sie waren schön, schöne Erinnerungen. Und das Jetzt wird zu neuen Erinnerungen mit neuen Menschen, neuen Momenten. Ungewissheit.

Ich lasse los. Lasse den Ballon fliegen, sehe ihm hinterher, wie er aufsteigt, hochgetragen wird von Luft, Wind und Helium. Sehe tausend andere Ballons, rote Tupfen am wolkenverhangenen Himmel, sehe wie sie kleiner werden, immer kleiner. Marienkäferhimmel.

Ich kann gut zeichnen, malen, schreiben. Kann gut nachdenken, reflektieren, philosophieren. Ich kann gut planen und organisieren, kann gut fantasieren. Ich kann nicht loslassen, immer noch nicht. Es war einfach, den Luftballon steigen zu lassen und mir vorzustellen, das immer so zu machen. So einfach ist es nicht. Aber vielleicht muss ich gar nicht aufhören an allem festzuhalten, um loslassen zu können, vielleicht reicht es, Veränderung zu akzeptieren und darauf zu vertrauen, dass andere schöne Momente bevorstehen. Ungewissheit. Man weiß nie, was kommt und es kommt immer anders. Da tut es gut zurückzudenken, was man geschafft hat, dass man es immer irgendwie geschafft hat. Festhalten gibt Sicherheit. Loslassen schenkt Freiheit. Und nein, das schließt sich nicht aus ;)


Jule

Dienstag, 8. September 2015

Öfter mal … laufen, soweit die Füße tragen

Jener Tag im August war ein Sonntag. Entspannung, die Füße hochlegen, die Sonne genießen. Sollte man meinen. Aber jener Sonntag war anstrengend, nicht körperlich, nein, aber emotional. So anstrengend, dass ich mich vor lauter Gefühlen leer gefühlt habe, dass mein Kopf gepocht hat als würde dort eine neue Stadt errichtet werden, Baustelle, Lärm, Presslufthammer. So anstrengend, dass jeder Gedanke zäh und schwer war wie Blei, dass ich nicht mehr wusste, was ich will und was nicht.

Und dann habe ich das gemacht, was ich früher so oft und so lange nicht mehr gemacht habe: Ich bin in meine Sportschuhe geschlüpft, hab‘ meinen IPod herausgekramt und bin losgelaufen, im Takt der Musik und im Einklang mit meinem Atem. So episch ging’s nicht weiter, bald merkte ich, dass ich schon lange nichts mehr für meine Ausdauer getan hatte, mir fehlte die Luft zum Atmen, das Blut stieg mir in den Kopf und meine Beine wurden schwer. Aber ich merkte auch, wie gut es tat, einfach nur zu laufen, mich zu bewegen, einfach vorwärts, immer weiter. Nicht denken, nur laufen, links, rechts, links. Nicht denken, nur atmen, ein, aus, ein.

Ich merkte, wie die Sonne auf mein Gesicht brannte, sich Schweißperlen auf meiner Stirn sammelten und an meinen Schläfen herabrannen. Ich merkte den leichten Luftzug beim Laufen, der mich nur minimal abkühlte. Ich spürte Zweige, die mir auf diesem schmalen Waldweg in’s Gesicht klatschten, den Boden unter meinen Füßen, wie ich hart aufsetzte und doch weich zurückgefedert wurde. Rhythmisches Klopfen meiner Schritte, Hintergrundbeat. Ich spürte, wie anstrengend das war und wie viel Kraft ich doch hatte, spürte meine Sehnen und Muskeln und den Willen meines Körpers, mich bis an’s Ende der Welt zu tragen. Naja fast. Aber nicht nur meine Beine bewegten sich, bewegten sich schnell und kraftvoll, sondern auch meine Gedanken.

Wenn ich mehr Puste gehabt hätte, hätte ich wohl lachen müssen, so einfach schien mir jetzt alles. Ich wusste, was ich machen muss. Ich wusste es schon vorher, weiß, was das Richtige ist, auch wenn es schwer ist. Ich weiß, dass es irgendwann wieder leichter wird, dass ich irgendwann wieder besser Luft bekomme, wie jetzt nach dieser Waldrunde. Ich weiß, dass ich mich freikämpfen muss, so wie ich mich jetzt freilaufen musste. Ich weiß, dass es anstrengend wird, aber ich weiß auch, dass es mir danach besser geht, erschöpft, außer Atem, aber angenehm ruhig. Verschnaufpause. Und dann wieder weiter, soweit mich meine Füße tragen.


Was ich daraus lerne und was ich euch mitteilen will? Dass es verdammt guttut sich selbst und seinen Körper zu spüren, Anstrengung, Muskelbewegung. Egal, ob Joggen, Rad fahren, Seil springen oder Trampolin. Egal, ob Schwimmen, Karate, Tanzen oder Boxen. Hauptsache bewegen, ins Schwitzen kommen, raus, raus, tob‘ dich aus. Mach ‘ne Pause, Denkpause, lenk dich ab. Und die Gedanken denken weiter, ganz alleine, aber du, du denkst nicht nach, machst einfach. Konzentrierst dich auf die Bewegung und deinen Atem und wenn du dann außer Atem bist, erschöpft, wirst du merken, dass du mehr Kraft hast als zuvor. Nicht körperlich in diesem Moment, aber geistig. Dass du kreativer bist, wacher, voll bist mit Sauerstoff und Ideen. Und vielleicht wirst du wie ich merken, dass einige Dinge klarer geworden sind, dass du leichter Entscheidungen treffen kannst, dass du weißt, was du brauchst und was du für dich tun musst. Weil du dich gespürt hast, mit deinen Grenzen und deiner Kraft. Weil dein Atem die Gedanken in geordnete Bahnen gelenkt hat und deine Füße dich auf den richtigen Weg gebracht haben, dich weiter tragen werden. Vielleicht sogar bis an’s andere Ende der Welt :) 

Eure Jule

Dienstag, 1. September 2015

Bunte Kiste: August 2015

Hitze, Verbrennen, Asche. Sommer, Sonne, Musik. Träume und Ziele. Gespräche, so gute, so viele. Schweigen, so dicht. Distanz und Vermissen. Heimweh und Tränen, Freudentränen. Gesellschaft und echte Freunde.



Gefreut über: das letzte Festival, diese eine, echte, coole Bekanntschaft, jede Menge Ablenkung, dieses Becken mit den vielen bunten Bällen, Besuch aus Clermont und aus Luxemburg, mein Pêche-Chèvre-Entrée-Dessert, Partynächte und nächtliche Gespräche, das erfolgreiche Öffnen einer Bierflasche mit einem Feuerzeug, diesen roten Luftballon, einen Regentanz, Balkon-Chillen mit Schwesterherz, ein schlaues Mädel, das mich kennt ohne mich lange zu kennen, Komplimente ohne Ende und die besten Freunde der Welt

Geärgert über: eine fiese Erkältung und meine Ungeduld

Auszüge aus meinem Tagebuch:

„Ja, stimmt, damit hatte er Recht. Wenn ich davon erzähle, muss ich automatisch lächeln. Nur dass es jetzt kein leichtes, unbeschwertes Lächeln mehr ist, sondern ein vom Leben markiertes.“

„Einzige Lösung? Bachelorette und Hugo. Um diesen beschissenen Abend rumzukriegen.“

„Wir retten nicht unseren Planeten, nein, wir retten nur uns. Unsere Rasse. Aber die Erde wird sich weiterdrehen, egal mit welchen Lebewesen.“

„Wir haben über’s Glücklichsein geredet und ich hatte Tränen in den Augen. Und das nicht, weil ich nicht glücklich war oder glücklich war. Sondern weil mir bewusst wurde, dass ich es in der Hand habe, dass ich der Schlüssel zum Glück bin, zu meinem Glück.“

„Was hab‘ ich beizutragen? Wie kann ich diese Welt verändern, verbessern, ein klein wenig nur? Was begeistert mich so, dass ich damit auch andere begeistern kann? Fragen über Fragen. Und noch keine Antworten.“

„Jetzt wird es wichtig, jetzt geht es um mehr, Substanz, bis in den Kern. Nie war mir mehr bewusst als jetzt, dass ich wählen muss.“

„Klar bin ich stark. Immer mal wieder ein bisschen. Schon immer gewesen. Anscheinend bin ich aber immer dann nicht stark, wenn ich auf Papier stark bin. Als würde ich stärker werden, wenn ich es schwarz auf weiß habe. Als müsste ich mir gut zureden, mich beschwören. Als würde ich mich belügen?“

„Ich will es haben, in meinem Zimmer, anstatt einem Bett. Dieses Becken mit den bunten Bällen, sowas Cooles. Will da drin schlafen, schwimmen, andere mit Bällen bewerfen. Will wieder öfter Kind sein. Regenbogenschneeballschlacht :)“

„Vielleicht kann ich noch nicht vergessen. Es gibt noch offene Türen, offene Wunden, Fragezeichen. Aber ist es Schwäche, durch falsche Türen zu gehen und die richtigen zu schließen? Ist es Schwäche, Wunden nicht zu verarzten, sich zu schnell zu bewegen und der Kruste beim Aufplatzen zuzusehen? Ist es schwach, nach Antworten zu suchen und sich immer wieder zu verlaufen? Vielleicht gehört dieses Irren, Ignorieren, Straucheln und Suchen ja zu meinem Weg, gehört einfach zum Leben. Vielleicht gewinne ich dadurch Stärke, echte Stärke. Und dann kann ich vielleicht nicht nur auf Papier niederschreiben sondern in Stein meißeln. Muss‘ gar nicht vergessen.“

„Wir biegen in diese Straße ein, in die ich schon 29495766831 Mal eingebogen bin. Wieso schmerzt diese Vertrautheit gerade so?“

„Ich bin gerade einfach nur dankbar, ich hab‘ wohl wirklich die besten Freunde, so viele, so viele, die immer da sind, auch wenn sie am anderen Ende der Welt sind und so viele, die nicht immer da sind, aber immer dann, wenn es wichtig wird. Und solche, die einfach auftauchen, wenn man es nicht erwartet und wenn wieder alles so ist, wie es war als man sich noch täglich gesehen hat. Und solche, die neu dazukommen, die andere ersetzen. Dieser eine, der den anderen ersetzt, der aber doch nicht in diese Lücke passt. Der einen neuen Platz einnimmt. Das Loch bleibt, die Lücke lässt sich nicht schließen. Aber das Ganze ist ein Netz, das hält, das mich auffängt, trotz fehlender Maschen. Sprungtuch.“

„Schade, es gibt keinen Schalter. Licht ein, Licht aus. Würd‘ gern den Stecker ziehen. Stattdessen krieg‘ ich bei jedem Versuch einen Stromschlag.“

„Wieso nochmal lebe ich gern in Extremen, fühle intensiv, viel zu sehr? Das ist doch anstrengend. Reizüberflutung.“

„Aber was, wenn ich’s drauf ankommen lassen will?!“


Und der September?


Ich freue mich auf: Momente mit den Besten, eine Reise nach Berlin, Hamburg mit der besten Schwester, Zeit für mich, Waldspaziergänge und Joggingrunden, Ungarn inklusive Wiedersehen und Wiedersehen mit der ALLER-Besten, die viel zu lange zu weit weg war!

Jule