Das meine ich positiv. Eskalieren im positiven Sinne. Denn
dieses Wort hat eigentlich eine negative Konnotation, eine negative Bedeutung.
Eskalation meint die Verschärfung eines Zustands oder einer Situation. Steigerung,
immer höher, immer weiter, in den meisten Fällen immer schlimmer. Gespräche
können eskalieren, Konflikt, Streit, Schlägerei. Verhandlungen können
eskalieren, Respektlosigkeit, Beleidigungen, Beschimpfungen, Demütigung. Schon
vorhandene Konflikte können eskalieren, sich verschlimmern, ausarten.
Unkontrollierbarkeit. Alles Worte, die uns tagtäglich zu Ohren kommen, die uns
in Schwarz und Großbuchstaben auf den Titelseiten der Zeitungen
entgegenspringen.
Springen ist mein Stichwort. Nach oben springen. Eskalation
bedeutet nämlich ganz allgemein, dass ein Zustand oder eine Situation eine
qualitativ höhere Stufe einnimmt. Warum nicht im positiven Sinne? Warum nicht
all den negativen Schlagzeilen etwas entgegensetzen? Warum nicht positiv
eskalieren? Denn ja, ich bin der Meinung, auch positive Gefühle können
eskalieren.
Dieses Flattern in der Magengegend, kleines Kribbeln, aus
dem auf einmal Schmetterlinge werden, Schwärmerei für einen Menschen, die zu
ernsthafter Verliebtheit führt und in echter Liebe eskaliert. Sympathie für
einen Menschen kann eskalieren. Ich habe ihn gesehen, ganz kurz nur, da, am
Bahnhof. Und dann dieser Wortaustausch, Small Talk eigentlich. Die Art, wie er
mit seinen Händen Gesagtes unterstreicht, seinen Kopf schief legt, lächelt, ein
bisschen schief. Und dann dieses Gespräch, das so vieles geheim hält und doch
so vieles offenlegt. Und das meine anfängliche Sympathie für diesen Menschen
eskalieren lässt, sie artet aus, in komischer Faszination und ehrlichem
Interesse. Empathie kann eskalieren, finde ich. Da wird man vielleicht
urplötzlich Vertrauensperson, war es vorher nie, nicht für sie, und fühlt sich
geehrt, möchte zuhören und da sein und wird berührt von ihrer Geschichte, ihren
Gedanken, ihrem Leid. Und möchte helfen, dringend, jetzt und effektiv. Wenn
Empathie eskaliert, vergisst man einen Moment – oder mehrere - seine Probleme
und wird mitgerissen von demjenigen, der sich uns anvertraut hat, dessen
Geschichte und Gefühle wir kennengelernt haben. Und man wird Teil davon.
Springen ist immer noch mein Stichwort. Ich bin gesprungen,
bis in den Himmel (quasi) und darüber hinaus, bin gefallen. Ich war Teil davon.
Ich war Teil von dieser großen, singenden Menschenmasse, die eindeutig
eskaliert ist. Ich war auf diesem Konzert und bin mitgerissen worden.
Eskalation Deluxe. Die Luft ist aufgeladen, Kurzschlussgefahr, unerträgliche
Hitze, so viel Energie. Eine Energie, die uns alle erfasst, uns mitreißt, uns zum
Glühen bringt und Emotionen überkochen lässt. Eine Energie, die so ansteckend
ist, dass ich nicht anders kann als ihr durch Springen Raum zu geben, immer
weiter, immer höher, pure Ekstase trotz totaler Erschöpfung. Die Musik ist zu
laut, die Luft zu stickig, der Raum zu eng. Und trotzdem bin ich frei, bin am
Ende, habe Spaß ohne Ende. Und reiße die Fäuste hoch.
Eskalation bewegt Dinge, schiebt sie weiter, eine Stufe
höher, mehrere Stufen. Eskalation funktioniert besser in der Menge, ist
ansteckend, breitet sich aus wie eine Krankheit. Eskalation sollte unser Motto
werden, positive Eskalation. Und nein, ich meine nicht nur Euphorie, Eskalation
geht tiefer, ist beständiger, verfliegt nicht gleich. Was ist dir wichtig?
Welche Werte, Einstellungen? Wofür willst du kämpfen? Gleichheit, Respekt,
Freiheit, Ehrlichkeit, Transparenz, Gemeinschaft, Toleranz. Für wen willst du
kämpfen? Nicht nur für dich. Für ihn, für sie und für uns. Für eine bessere
Welt natürlich. Und jeder von uns ist dafür wertvoll, jeder hat Ideen,
Vorschläge, Talente. Die kann man zusammentragen und addieren und eskalieren
lassen. Die kann man verbreiten, Funken, kleine Funken überall und dann fängt
alles Feuer. So viel Hitze, die was bewirken kann.
Lasst uns zusammen eskalieren. Für ein gemeinsames Ziel, für
eine bessere Welt, für Freiheit. Lasst uns positiv eskalieren für die Freiheit,
die uns so wichtig ist und die viele noch nicht haben, für die Sicherheit, dank
der wir springen können ohne tief zu fallen. Eine Sicherheit, die viele
Menschen so nicht kennen. Die nur Eskalation kennen, negativ gemeint.
Und wir hören dieses Lied, reißen die Fäuste hoch, keiner
unserer Träume bleibt eine Utopie. Denn alles scheint greifbar.
Eure Jül
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