Mach dich nackt, mach dich verletzlich. Entblöße dich, zeig
Haut, zeig Herz. Vertraue, bedingungslos. Lass dich fallen, haltlos.
Mir ist egal, was andere über mich denken, denke ich und
wünsche mir, meine Hose würde mir über die Knie reichen. Denke ich und blicke
mich hektisch um, ob jemand gesehen hat, wie ich mir den Schweiß von der Stirn
gewischt habe. Es ist mir egal. Denke ich und fürchte den Moment meiner
Wiederkehr, wenn Leute die Kilos, die ich jetzt mehr auf den Rippen habe, kommentieren.
Wenn sie sich das Maul zerreißen, Wortfetzen, die zu Boden fallen wie altes,
zerrissenes Zeitungspapier. Es ist mir egal, denke ich und genehmige mir einen
weiteren Löffel Erdnussbutter. Es ist mir egal, denke ich und ziehe verschämt
die Bettdecke über meinen nackten Bauch, als er mich ansieht. Sehe vor meinen
Augen mein Selbstbewusstsein in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus, das ich
so geduldig aufgebaut habe. Und das Spiel beginnt von vorne.
Ich dachte, mir wäre egal, was andere über mich denken und
merke, dass es nicht so ist. Denke und merke, wie gefangen ich doch bin in den
Fängen unserer Gesellschaft. Freier Vogel im Käfig. Gitterstäbe, die sich
scheinbar wie von selbst wieder rekonstruieren, egal wie oft ich sie schon
durchbrochen habe. Ein Gerüst, das uns gefangen hält, uns am Fliegen hindert.
Starr, unbeweglich. Wer diktiert denn, was Schönheit ist, was Begabung, was
Talent? Wer sagt, was richtig ist, was falsch?
Mach dich nackt, mach dich verletzlich. Entblöße dich, zeig
Haut, zeig Herz. Vertraue, bedingungslos. Lass dich fallen, haltlos.
Sieh mich an, sieh in den Spiegel. Wer bist du denn? Eine
Puppe vielleicht, die dem Schönheitsideal dieser Gesellschaft entspricht.
Makellos. Makellos und ohne Leben, unecht, aus Plastik. Mach Feuer. Und Plastik
beginnt zu stinken. Wer bist du denn? Eine Marionette vielleicht, deren Fäden
jemand anderes in der Hand behält. Perfekt, kontrolliert. Ferngesteuert. Lass
das Feuer brennen und du wirst dich panisch in den Fäden verheddern, die
Gesellschaft stranguliert dich. Wer bist du denn? Ein Schauspieler, der eine
Rolle spielt, Clownsmaske, Grimasse. Lass das Feuer brennen und deine Maske
wird fallen.
Zeig, wer du bist. Lass das Feuer brennen und dein Blick fängt
an zu lodern. Leidenschaft. Zeig dein Talent, deine Andersartigkeit, deine
Fehler. Schönheit kann man nicht messen und nicht wiegen, nicht in Schubladen
stecken und betiteln. Schönheit ist, was echt ist, authentisch. Schön ist, wer
echt ist, authentisch. Frei und ohne die Fesseln, die die Gesellschaft uns
anzulegen versucht.
Du sagst, dir sei es egal, was andere über dich denken.
Sagst es mit fester Stimme, und dennoch: Ich sehe die Zweifel in deinem Blick,
Unsicherheit. Du glaubst an dich selbst und tust es nicht. Glaubst, dass das,
was du tust, gut so ist, dir selbst entspricht. Und hast trotzdem Angst. Angst
davor, verurteilt zu werden, in die falsche Schublade gesteckt zu werden. Die
Leute reden sowieso, zerreißen sich das Maul. Zerreißen deine Arbeit, dein
Aussehen, dein Verhalten in der Luft, wie Zeitungspapier, bis nur noch
Wortfetzen übrig sind. Zünden es an, bis nur noch Asche übrig ist. Aber dein
Feuer? Das brennt doch weiter, lodert und verbreitet Wärme, für die, die sich
nah genug heranwagen, ohne Waffen, nackt.
Mach dich nackt, mach dich verletzlich. Entblöße dich, zeig
Haut, zeig Herz. Vertraue, bedingungslos. Lass dich fallen, haltlos. Mach dich
nackt, mach dich frei. Mach dich nicht klein.
Wovor hast du Angst? Ich habe Angst, nicht gemocht zu
werden. Habe Angst, allein zu sein, kritisiert zu werden, ausgestoßen. Auch
wenn ich immer behaupte, ich sei Einzelgängerin, Einzelkämpferin. Und doch, ich
brauche sie, Anerkennung, brauche sie, die, die an mich glauben, wenn ich es
selbst gerade nicht kann. Die mir den Rücken freihalten, wenn ich meine Hände
zur Abwehr brauche. Die, die mir Halt geben, wenn ich meine Flugkünste
überschätze und zu fallen drohe. Die, die mir die Wahrheit sagen, wenn ich mich
selbst belüge. Ich brauche sie und brauche Anerkennung und Bestätigung und habe
Angst. Angst davor, nicht dazuzugehören, nicht akzeptiert zu werden, Angst vor
meiner Andersartigkeit. Bunter Vogel. Brauche mein Nest, in das ich
zurückfliegen kann, wenn mir die Höhenluft den Atem nimmt, ich aus der Puste
komme. Und ich habe Angst, dir nicht zu gefallen, dich zu enttäuschen. Habe
Angst, dir zu vertrauen.
Mach dich nackt, mach dich verletzlich. Entblöße dich, zeig
Haut, zeig Herz. Vertraue, bedingungslos. Lass dich fallen, haltlos.
Ich spüre seinen Blick auf mir ruhen, wie er mir durch den Raum
folgt. Meine Finger fangen an zu kribbeln und ich bekomme Gänsehaut. Der Tag
neigt sich dem Ende zu, kurz vor 6. Die letzten schwachen Sonnenstrahlen werfen
Licht auf den Staub im Zimmer, lassen ihn tanzen. Schatten legen sich wie ein
Samtvorhang auf sein Gesicht und lassen seine Wimpern noch viel länger wirken
als sie eh schon sind. Sein Mundwinkel zuckt und ich weiß, was er denkt. Ich
weiß, was er will, als ich in seine Augen blicke und mich in deren Dunkelheit
zu verirren drohe.
Es ist Nacht, die Schwärze scheint dichter als sonst,
schwarze Tinte. Ich kann nicht einmal meine eigene Hand sehen, obwohl sie doch
weiß ist. Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen und hoffe, dass es
wenigstens in dieser Straße kein riesiges Schlagloch gibt. Auch die Stille
scheint undurchdringlicher als sonst, ich höre nichts außer das Knirschen der
Steine unter unseren Füßen. Und deinen Atem. Als ich stolpere, hast du schon
längst nach meiner Hand gegriffen. Hältst mich fest, lässt mich nicht los. Und
ich lasse mich fallen.
Mach dich nackt, mach dich verletzlich. Entblöße dich, zeig
Haut, zeig Herz. Vertraue, bedingungslos. Lass dich fallen, haltlos. Freier
Fall mit Aufwind.
Photographer: Jacques Nkinzingabo