Ich schlage meinen Kalender auf und ein Chaos an Zetteln,
Eintritts-und Visitenkarten fällt mir entgegen, Erinnerungen an vergangene
Erlebnisse, Termine, an vergangenen Spaß und vergangenen Stress. Wieso heb‘ ich
eigentlich den ganzen Schmarrn auf, frage ich mich und sammele entnervt alle
Einzelteile vom Boden auf. Bringt doch eh nichts, was will ich denn mit den
ganzen Sachen. Sie bringen die Vergangenheit nicht wieder, sind vielleicht nur
Gedächtnisstütze. Ja, ich weiß, ich hänge an solchen Dingen, habe Angst zu
vergessen.
Erinnerungsschätze. Auf meinem Schreibtisch, in meinem
Notizbuch, neben meinem Bett, in Kisten, Büchern und auf dem Boden. Muscheln,
die mich an einen unbeschwerten Tag an der Westküste Frankreichs erinnern, ich
hab die Augen auf den Boden gerichtet, wo ist die schönste Muschel. Kichern
hinter mir, ja, sieht bestimmt lustig aus, wie ich hier so über den Strand
„laufe“, meine Nasenspitze keine 2 Zentimeter über dem Boden. Ich spüre den
Wind in den Haaren, die scharfen Kanten
meiner schon gesammelten Muscheln in der Hand und weiß wieder, wieso ich solche
Gegenstände aufhebe. Weil sie Geschichten erzählen und das sogar ohne Worte.
Ich spüre den Wind, schmecke den Sand, fühle Steinchen und Muschelscherben
unter meinen nackten Füßen, höre das Rauschen des Meeres und rieche das Salz in
der Luft. Die Erinnerung ist mit einem Mal so lebendig, dass sich mich
mitzureißen droht, dass ich alles andere um mich herum vergesse. Ja, verdammt,
ich will vergessen, nicht diese Erinnerung, aber diesen Moment, will ihm
entfliehen. Ich träume mich an einen anderen Ort, in eine andere Zeit. Ist noch
gar nicht lange her, kommt mir aber wie eine Ewigkeit vor. Unbeschwert war ich
da, hätte mich am liebsten zu den Muscheln gelegt, habe mich gefreut wie ein
kleines Kind über „meine“ gesammelten Schätze. Habe gegrinst, weil ich stolz
war auf meinen Fund, war überzeugt, dass ich die schönsten Muscheln ganz
Frankreichs gesammelt hatte, definitiv. Und ich lasse mich hineinfallen in
diese Erinnerung, versuche die Unbeschwertheit einzufangen, zu greifen, wieder
mit in meinen Alltag zu nehmen, der alles an Leichtigkeit verloren hat.
Und ich denke daran, wie leicht es mir in eben diesem Moment
gefallen war leicht zu sein, mich leicht zu fühlen. Unbeschwertes Lachen,
glückseliges Grinsen, albernes Kichern. Alles davon. Hüpfen, Sand der federt,
Muscheln, die piksen. Ich werde übermütig, will den Wind einfangen, mit ihm
spielen, will mich von ihm tragen lassen. Stattdessen tragen mich meine
Gedanken, befördern mich wieder zurück in die Gegenwart. Aber ich hab‘ die
Muscheln in der Hand, hab‘ ein Lächeln auf dem Gesicht und bilde mir ein, den
Wind in meinen Ohren zu hören, Flüsterpost.
Eure Jül
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen