Samstag, 20. Februar 2016

Die Welt ist so klein. Und doch viel zu groß für mich.


Die Tür geht auf, jemand sitzt bereits an dem langen Tisch. Sie hebt den Blick und ich denke mir: He, die kenn' ich doch. So trifft man sich wieder, zufällig, in einer anderen Stadt, einem anderen Land, einem anderen Zusammenhang. Nicht immer erfreulich, aber immer eine Überraschung. Und der, der so wahnsinnig hilfsbereit ist, der ein Lächeln hat, das Nähe schafft, er erzählt mir, wie er hierhin gekommen ist. Und erwähnt dabei den, den ich mit dieser Stadt, dieser Erfahrung verbinde. Vermutlich der einzige, der mir in dieser Zeit nahekommen durfte. Und wir, verschiedener könnten wir nicht sein, kennen ihn beide. Schon wieder Nähe, eine neue. Nein, diese Zufälle liegen nicht nur daran, dass Brüssel eine Multikulti-Stadt ist, nicht daran, dass im EU-Parlament jedes Land und jede Region Europas vertreten ist und auch nicht daran, dass die Organisation Arche eine internationale ist. Schon eher liegen sie daran, dass viel über Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert. Und am meisten liegen sie wohl daran, dass die Welt ziemlich klein ist. Handtuchgröße, wie die Spanier zu sagen pflegen.

Ich sitze in diesem Saal, inmitten von wichtig aussehenden Menschen. In einer Hose, die unbequem ist und mit einem Notizblock auf meinen Beinen. Ich versuche mich so hinzusetzen, dass der Schlag meiner schwarzen Stoffhose die Risse in meinen Schuhen überdeckt. Hier zählt der Schein. Und was steckt dahinter? Jede Menge Informationen, die in dieser Diskussion hin und her geworfen werden, jede Menge Worte, die ich nicht verstehe. Beschlüsse, Gerichtsverfahren, Artikel, Gesetze. Aaah. Ich verstehe ziemlich wenig, stelle ich fest. Merke aber auch, dass es hier noch um etwas anderes geht, darum, wie man sich gibt, wie man wirkt, was man von sich hält und wie man es verkauft. So naiv bin ich wohl doch nicht mehr. Und trotzdem ertappe ich mich dabei, wie ich denke: He, das ist auch nur ein Mensch. Allerdings einer, dem sein Auftreten wichtig ist, sein Ruf, sein Gehalt. Das, was morgen in den Zeitungen steht. Es geht darum, die breite Masse zu beruhigen. Sie hinter sich zu bringen. So zu tun, als wäre alles transparent. Ist es nicht, es ist undurchsichtig und komplex, so weit bin ich schon. Allerdings verstehe ich noch viel zu wenig von diesen Dingen, denn vermutlich ist die Welt doch ein wenig zu groß, diese Welt zumindest.

Feierabend. Ich laufe zurück, den Weg, an dem ich beinahe jede Hausfassade kenne, jede Stolperfalle und jeden Straßennamen. Natürlich hilft das bei meiner fehlenden Orientierung nicht immer, dann bringe ich alle Straßennamen durcheinander, die Himmelsrichtungen sowieso. Und wenn ich anfange zu träumen, wird sowieso jeder Kieselstein zur Gefahr. Bin nämlich schon wieder dabei, voll im Tagtraum. Und da ist mittlerweile ziemlich viel Platz, nachdem ein paar Träume kategorisch nicht mehr geträumt werden, nicht mehr geträumt werden wollen. Vielleicht mittlerweile gar nicht mehr existieren. Luftleerer Raum ist es trotzdem nicht, denn ich träume von der Ferne. Ja, ich weiß, ich befinde mich eigentlich gerade im Ausland. Aber das zählt nicht, das ist zu sehr Zuhause, immer noch und jetzt wieder neu. Nein, ich will weiter weg, auf einen anderen Kontinent, nochmal so wachgerüttelt und durchgeschüttelt werden. Nicht im Kleinen wie letzte Woche, wie schon ein paar Mal in meinem Leben, sondern im Großen, wie letzten Sommer, noch mehr vielleicht. Und dann denke ich an alle Länder, die mich interessieren, an alle, von denen ich ebenfalls viel zu wenig weiß und merke, wie ich schrumpfe. Denn die Welt ist viel zu groß.


Bei all der Vielfalt, der geografischen und kulturellen Größe dieser Welt, der Komplexität der Themen, die diese Welt betreffen, ist es ein Leichtes, sich klein zu fühlen, unwissend, unbedeutend, unwichtig, verloren. Umso besser, wenn man abends irgendwohin kommt, wo es sich ein bisschen nach „Zuhause“ anfühlt. Das kann Familie sein, Freunde, nette Menschen. Das kann ein Bett sein, mein „Nest“, dein Bücherregal. Das kann auch einfach nur man selbst sein, mit seiner eigenen kleinen Welt. Dann schreibe ich diese Sätze, andere noch, kritzele ein paar To-Do-Listen, trinke Ingwertee mit Zitrone und Honig oder doch lieber Chimay bleue, ziehe meine Kuschelsocken an und die Welt fühlt sich heimelig an. Ich habe irgendwo einen Platz, irgendwie, auch wenn ich den nicht genau definieren kann. Der Platz ist da und ab und an stehe ich auf und gehe umher, verlasse ihn, um in die große, weite Welt zu ziehen. Um sie kennenzulernen, um damit anzufangen. Um mich selbst besser kennenzulernen und egal ob im Großen oder im Kleinen, bedeutend ist es allemal. 


Jule

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