Sonntag, 16. August 2015

Feuerwerk

Ich stehe hier, inmitten von Menschen, tausenden Menschen, die gebannt zum Himmel starren. Die darauf warten, dass es endlich losgeht, dass endlich etwas passiert, erwartungsvolle Stille. Und ich warte mit ihnen, warte darauf, dass etwas diese Stille zerreißt, bevor sie mich zerreißt. Die Nacht ist schwül, die Laternen werfen ihr blasses, schwaches Licht den blitzenden Sternen entgegen. Die Luft ist heiß und aufgeladen, vor Spannung, Kurzschluss. Und da knallt etwas, knallt laut, durchbricht das leise Gemurmel der Menschen und übertönt die Nacht. Da schießen Raketen in die Luft, es zischt, es kracht und Farben fallen vom Himmel, Funkenregen. Explosion, etwas explodiert in mir. Und ich lasse meinen Tränen freien Lauf, leise, während um mich herum Feuerwerkskörper in die Luft schießen, die Nacht durchleuchten und die Sterne übermalen, Blau Weiß Rot, gold und glitzernd. Ich weine, weil es so schön ist, weil es schön war. Ich weine um diese Schönheit, die sich nur einen kurzen Moment im Himmel halten kann und dann verblasst, um die Funken, die zu Boden fallen wie erloschene Sternschnuppen. Vergänglich.

Und ich stehe hier inmitten von Menschen, tausenden Menschen, die tanzen, singen, sich im Takt der Musik bewegen. Menschen, die lachen, Spaß haben, an den Klängen und Melodien und am Leben. Ich schließe die Augen und lasse mich mitreißen, forttragen von den Liedern, den Stimmen und tanze, tanze bis ich fast das Gleichgewicht verliere, Karussell. Ich öffne meine Augen und blicke nach oben, sehe schillernde Seifenblasen, zehn, zwanzig, zehn mal zwanzig. Ich sehe ihnen hinterher und sehe in ihnen all meine Hoffnungen und Erwartungen, lass‘ sie fliegen, zusammen mit der Enttäuschung. Ich strecke die Hand aus, will sie berühren, einfangen, aber sie platzen. Aus der Traum.

Und ich sitze hier an diesem Fluss, alleine. Blicke auf’s Wasser. Klar ist es und ruhig, die Oberfläche glitzert, Goldstreifen. Lichter, die sich dort spiegeln, die mir den Spiegel vorhalten. Ich bin ruhig. Und stark. Dieses Mal wirklich, dieses Mal tue ich nicht nur so. Fachwerkhäuser vor mir, sie gehören zu dieser Stadt, die mir vertraut ist mittlerweile, in der ich mich jedoch immer noch nicht heimisch fühle. Trockenes Gras, von der Sonne verbrannt. Eine Flasche, die vorbeischwimmt, Wellengang, Flaschenpost. Rascheln, das mich aus meinen Gedanken reißt, zwei Mäuse, die sich jagen. Ich blicke ihnen hinterher, bis sie unter der Brücke und dann im Dunkeln verschwinden. Ich sitze ebenfalls im Dunkeln, sehe nur das Glimmen meiner Zigarette und den Rauch, wie er in den nächtlichen Himmel steigt. Mir geht es gut und mir geht es nicht gut, aber mir geht es gut damit, dass es mir nicht gut geht. Ist das komisch? Nein, es fühlt sich endlich normal an. Leichter. Und ich hab keine Lust mehr, diese Zigarette zu Ende zu rauchen, brauche Luft. Luft zum Atmen, nach diesem Film, der mich aufgewühlt, bewegt, zum Nachdenken gebracht hat. Ein guter Film, traurig zwar, aber gut. Und damit meine ich nicht nur den Film, den ich soeben mit Marie im Kino angesehen habe, nein, damit meine ich auch meinen Film. Ich sehe meiner Zigarette zu wie sie verglimmt, wie Ascheflocken in’s braune Gras fallen. Habe in der anderen Hand mein Feuerzeug, spiele damit, spüre die Zacken des Rädchens, die Hitze der kleinen Flamme. Höre das Lachen vom anderen Ufer, wo Menschen bei Wein und Bier zusammensitzen und reden, plaudern, über alles und nichts. Fühle den Wind in meinem Gesicht, wie er ein bisschen Abkühlung schafft nach der Hitze dieses Sommertages. Und ich bin immer noch ruhig, höre auf mit dem Feuerzeug, höre auf mit dem Feuer zu spielen. Lieber benutze ich mein Feuerzeug, um Bierflaschen zu öffnen, so wie es mir Yann vor ein paar Tagen gezeigt hatte.

Ich sehe aufs Wasser und sehe mich. Sehe alles was ist und kann es so lassen. Das ist nun mal der Lauf des Lebens, Strömung, flussabwärts. Aber ich nehme immer etwas mit, Reisegepäck, Proviant. Etwas, das mir Sicherheit gibt, das mich nicht untergehen lässt, wenn die Strömung mal stärker, der Wind mal heftiger ist. Etwas, das sich so robust anfühlt, wie der Baumstamm an dem ich lehne, raue Rinde. Und Wurzeln, die sich neben mir ausbreiten, stark und mächtig. Auch ich habe Wurzeln geschlagen, nicht an diesem Ort, nicht in dieser Stadt, aber irgendwo in mir, so komisch es klingen mag. Bin angekommen, irgendwie. 

Jül

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