Du denkst dir: Was, noch öfter? Ich chill‘ doch schon den
ganzen Tag. Dann darfst du natürlich trotzdem weiterlesen, solltest dich aber
nicht unbedingt angesprochen fühlen und vielleicht eher zu Zettel und Stift
greifen, um eine To-Do-Liste zu schreiben. Das mache ich zurzeit mehrmals
täglich, das habe ich schon immer gemacht. Aufgeschrieben, was ich tun muss, um
nichts zu vergessen, um andere nicht zu enttäuschen und vor allem, um mich
selbst nicht zu enttäuschen. Es gibt für mich kaum ein befriedigenderes Gefühl
als abends einen Blick auf meine Liste zu werfen und zu sehen, dass ich Punkte
abhaken konnte, von der Liste streichen konnte, etwas geschafft habe. Genug
geschafft habe, um stolz auf mich zu sein. Solange ich produktiv war, hat das
gut funktioniert und mein kleines ehrgeiziges Männchen, das dort in mir wohnt,
wo auch das Volk der Erwartungen lebt, hatte gute Laune. Doch ja, der Fehler im
System zeigte sich dann, wenn ich mal einen „faulen“ Tag hatte, nicht genug
Zeit, um meine Liste abzuarbeiten, keine Kraft oder schlichtweg keine Lust.
Dann schrillte in meiner gedanklichen Landschaft der Erwartungen und Ansprüche
die Alarmglocke und das Ehrgeiz-Männchen bekam verdammt schlechte Laune, fing
an, mir Vorwürfe zu machen. Ich machte mir selbst Vorwürfe und war auf einmal
überhaupt nicht mehr stolz auf mich, sondern verdammt unzufrieden.
Aber ja, meine Verwendung der Vergangenheitsform kam hier nicht
zufällig: Ich habe den Fehler im System erkannt und ich umgehe ihn. Das klappt
nicht immer, aber immer öfter. Ich sage meinem Männchen, he, entspann dich mal!
Ehrgeizig bleibt es trotzdem, aber immerhin hält es eine Zeit lang seine vorlaute
Klappe. Stille. Angenehme Stille, in der ich mal etwas anderes wahrnehmen kann,
die ich mit Gedanken ausfülle, die so gar nichts mit meinen Ansprüchen zu tun
haben, angenehme Gedanken. Tagträume.
Ich sitze im Gras, es kitzelt meine nackten Füße und piekst
ein bisschen. Die Grashalme sind warm von der Sonne, die auch meine Haut wärmt,
mich wärmt. Sommersprossen. So viele Gänseblümchen, die sich wie Sommersprossen
im Gras verteilen, helle Punkte. Ich schließe die Augen und sehe die Sonne,
obwohl ich sie nicht sehe, rieche den süßen Duft der Blumen und den
unverkennbaren Geruch von Gras, sehe die hellen Punkte, die vor meinem inneren
Auge tanzen. Ich lasse meine Gedanken ziehen und träume mich weg, weit weg,
träume mich nah zu dir und fern von mir. Halt, nein, ich bin nicht weg von mir,
nur weg von allem, was mich stört, nervt, stresst. Das ist jetzt irgendwo, aber
sicher nicht hier in diesem Moment, in dem nur Platz ist für Sommer und Sonne.
Und Sommersprossen.
Tagträume, egal ob im Park oder am Meer, entspannen. Die
Seele baumeln lassen und einfach mal abschalten. Am besten auch das Handy. Ich
ignoriere das verzweifelte Kreischen meines Ehrgeiz-Männchens, das erreichbar
sein will und bin nur erreichbar für alles, was ich sehe, höre, rieche, fühle.
Meine Listen können warten, aber all diese Bilder und Eindrücke warten nicht.
Eure Jule
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