Vielleicht es gut und wichtig, nicht mehr so geblendet zu
sein vom besten Land Afrikas. Denn auch wenn die Sonne hier hoch im Zenit
steht, fallen Schatten. Alles, was glänzt, muss erst einmal von jemandem
poliert werden. Und die dreckigen Putztücher sammle ich nun auf, eines nach dem
anderen, mühsam. Frust macht sich breit.
Dass ich keinen Plan mehr habe ist allgemein bekannt. Dass das
aber meinen Fokus verschoben hat, ist neu. Interessant zu merken, dass sich
neue Perspektiven auftun, einfach dadurch, dass ich keinen Fokus mehr habe, ihn
verloren habe, auf dem Weg. Dass dieser nicht mehr sauber ist, nicht mehr
asphaltiert, sondern staubig, roter Sand, wie die meisten Wege hier.
Noch nie war ich von Menschen so genervt. Außer vielleicht
von Menschenmassen auf der Oxford Street an einem Samstagnachmittag, nicht
wahr, Schwesterherz. Aber jetzt zu merken, dass dieses Interesse nur geheuchelt
ist, dass ein anderes dahintersteckt, tut weh. Schon wieder verschlucke ich
mich an meiner eigenen Naivität, zu süß war der Geschmack. Und wieder werde ich
kälter, werde mir selbst einfach nehmen. Was wollt ihr denn? Mein Geld, einen
Flug, meinen Körper, ein Versprechen, mein Versprechen? Sicher nicht meine
Wahrheit, denn die ist nun einmal doch eine andere. Was will ich denn? Deine
Kontakte, deine Zeit, dein Lachen. Deine Nähe, vielleicht. Vielleicht will ich
auch nur meine Ruhe.
Jetzt muss ich diesen Frust zusammen mit meiner Naivität hinunterschlucken, um die nächste Stufe zu erreichen. Um gelassener zu werden oder gleichgültig. Es wird mir egal sein, ich weiß es. Und dann werde ich anders egoistisch sein als ihr, mir einfach nehmen, was ich will. Ohne Rücksicht auf Verluste. Auch dein Herz?
Jetzt muss ich diesen Frust zusammen mit meiner Naivität hinunterschlucken, um die nächste Stufe zu erreichen. Um gelassener zu werden oder gleichgültig. Es wird mir egal sein, ich weiß es. Und dann werde ich anders egoistisch sein als ihr, mir einfach nehmen, was ich will. Ohne Rücksicht auf Verluste. Auch dein Herz?
Füße, die sich auf dem Trampelpfad vor mir bewegen.
Leichtfüßig und barfüßig und dennoch, unendlich langsam. Auch wenn mir die
Hitze zu schaffen macht, ich ständig stolpere, möchte ich doch vorankommen. Und
nicht in diesem Tempo, schneller. Diese Langsamkeit macht mich aggressiv. Und
das vermutlich nur, weil ich ungeduldig mit mir selbst bin.
Wozu denken? Wozu hinterfragen, reflektieren, kritisieren?
Wozu leben?
Der Vergleich macht mich wütend. Kampala und Kigali,
Kontrastprogramm. Natürlich ist Kampala größer. Und bunter, lebendiger,
dreckiger, chaotischer, lauter, gefährlicher. Anstrengender? Oder ist es diese
Stille, die ich in Kigali nun anstrengend finde, die Staubschicht die auf
dieser sauberen Stadt liegt und sie umhüllt wie eine Glocke. Die Luft wird
knapp in jeder Unterhaltung, auf jeder Party, bei jedem Blickwechsel. Selbst
die Farben sind staubig, deine Augen auch.
Je länger ich hier lebe, desto wichtiger wird das, was
wirklich wichtig ist. Freiheit. Was für ein Luxusgut. Ein Zustand, der so
leicht einzuschränken und so schwer zu erreichen ist. Selbst ich, geboren in
einem freien Land mit tausenden Möglichkeiten, frei in meiner Wahl, merke, wie
die Gesellschaft mir Fesseln angelegt hat. Diese nach und nach zu durchtrennen
fühlt sich paradoxerweise so an, als würde ich Perlen von meiner Lieblingskette
abreißen. Nackter Hals, nackte Gedanken, verletzlich.
Fast mechanisch nehme ich den Motohelm von meinem Kopf,
drücke dem Fahrer einen zerknitterten Schein in die Hand und murmele ein
Dankeschön auf Kinyarwanda. Sehe weder das überraschte Gesicht des Fahrers,
noch die Rufe der anderen, noch die anzüglichen Blicke des Typen neben mir.
Fast stolpere ich über einen Haufen toter Hühner, renne einen der unzähligen
Handy-Guthaben-Verkäufer über den Haufen und bahne mir den Weg zu meiner Lieblingsschneiderin. Durchatmen. Stoffbahnen, bunt, in allen Farben mit den
schönsten Mustern. In meinem Kopf entstehen 58 Ideen für ein Kleid und einen
Rock und überhaupt einen kompletten Schrank voll neuer Kleidung. Ich überlege,
was ich will und entscheide mich. Und nehme auf einmal wieder alles um mich
herum wahr, Marktgeschrei, das Rattern der Nähmaschinen, die Hände von
unzähligen Verkäufern an mir. Der Duft von Maracuja und Ananas vermischt sich
mit dem Gestank von Frischfleisch in der Mittagshitze und mein gestresstes
Gemüt lässt sich von meinem Grinsen ablösen. Beschwingt springe ich über den
Hühnerhaufen zurück zum nächsten Moto und wundere mich, wie sehr doch alles von
meiner Stimmung und meiner Perspektive abhängt, während der Trubel der Stadt an
mir vorbeizieht.
Als wäre ich dein neues Handy, an dem du rumspielen kannst.
Als wäre ich ein offener Geldbeutel, an dem du dich bedienen kannst. Als wäre ich
ein Stück Ziegenfleisch, das du nach Lust und Laune zubereiten kannst.
Widerlich. Ich bin weg, hast du ja gemerkt.
Diese Reaktionen machen mich wütend, definitiv. Als hätte
nur ein Mann das Recht, so zu reden. Als hätte nur ein Mann das Recht, sich zu
vergnügen. Als hätte nur ein Mann das Recht auf eigene Entscheidungen. Als
hätte nur ein Mann das Recht, eine Frau anzuschreien. Blöd, dass ich so ein
lautes Organ und so viel Wut in mir habe. Auf dich, auf diese
Geschlechterkonstruktionen und diese Gesellschaft. Und auf mich, dass ich nicht
souveräner damit umgehen kann.
Ich lasse mir nichts vorschreiben. Nicht von dir, der du
meinst, du könntest mich zu einer Begrüßung zwingen, die ich nicht angemessen
finde. Nicht von dir, der du meinst, du könntest es einfordern, mich zu
kontrollieren. Nicht von dir, der du meinst, welches Essen und welcher
Lebensstil gut für mich wären. Das weiß ich schon selbst. Oder weiß es nicht
und flieg‘ auf die Fresse und schmecke Blut und lerne daraus. Vielleicht lerne
ich ja sogar von dir. Aber nicht, weil du mich erziehst oder belehrst, sondern
weil es das Leben tut.
Wahrscheinlich muss ich das hier gar nicht alles gut finden,
muss es auch nicht verstehen, werde ich eh nie. Wahrscheinlich ist es genug, zu beobachten. Zu erkennen, zu kritisieren, zu hinterfragen. Es nicht zu verstehen
und es dabei zu belassen. Wahrscheinlich ist das die größte Kunst: es dabei
belassen, dabei gelassen bleiben, Akzeptanz, simpel und radikal. So weit bin
ich noch nicht, er war schneller. Seine Souveränität fehlt mir noch, sein
Umgang damit. Das kann ich definitiv lernen: den Kopf schütteln, grinsen über
diese Andersartigeiten und weitergehen.
Das kann auch Spaß machen. Du starrst mich an, starrst mich
an als wäre ich grün und nicht weiß, starrst mich an als hätte ich Taubenkacke
auf der Stirn und Erdnüsse in der Nase. Und nun? Starre ich zurück. Starre
zurück, verdrehe die Augen, ziehe eine Schnute und forme ein „U“ mit meiner
Zunge. Und bringe dich damit zum Lachen, na geht doch. Mission erfüllt.