Sirenen und Stille. Betroffenheit und Schockzustand. Solidarität
und Mitgefühl. Ausnahmezustand, positiv. Großstadt und Wiedersehen. Leben genießen, mit ein bisschen Leichtsinn.
Gefreut über:
die beste Schokolade und weltbeste Sandwiches, ein bisschen gendern am
Weltfrauentag, ein bisschen Frühling, dieses geniale Reggae-Konzert, Random
facts und Stoppelfeten, kommende Wecker, stehengebliebene Uhren und die immer
größer werdende Zeitverschiebung, St- Patricks-Feierei, eine große Putzaktion, eine
Zusage, Arche-Gefühl, Zusammenhalt und Fürsorge. Meine letzte
Seminararbeitskrise und die damit verbundene beste Entscheidung. Dieses
London-Wochenende mit Schwesterherz, Street Art in Brick Lane, gute Gene,
äthiopischen Kaffee, den perfekten Sprint zum Zug, das teuerste Bier und die
teuerste Pizza und einen falschen ersten Eindruck
Geärgert über:
Weiß ich nicht mehr. Unbedeutend vermutlich. So eine Erfahrung relativiert
alles.
Auszüge aus meinem
Tagebuch:
„Ja, vielleicht hat er Recht. Vielleicht sollte ich die
Kontrolle abgeben. Vielleicht hindert mich das am Leben, bindet mich am Denken.
Er ist beeindruckt, von meinem Willen mich zu kontrollieren. Der Wille, der
mich fast zerstört hätte. Der mich gerettet hat. Tut er immer noch. Aber
vielleicht ist es jetzt an der Zeit, Kontrolle abzugeben, nicht an ihn, an das
Leben. Um mich überraschen zu lassen, nicht nur von ihm, auch vom Leben.“
„(…) und ich habe in endlos langer Ignoranz mit meinem Körper in ihm neben ihm hergelebt ohne zu leben, überleben.
Gut, dass ich aufgewacht bin. Dass ich geändert habe, verändert, mich
verändert. Dass ich akzeptiere, meistens. Dass ich lebe, jetzt wirklich, jetzt
wieder. Jetzt sowieso intensiver.“
„Genug, um stolz zu sein. Zu
wenig, um mich damit zufrieden zu geben?“
„Tja, da wuselt die Absurdität
dieser ganzen Situation um mich rum, prasselt auf meine Nerven und ich bleibe
einfach gelassen. Grinse ihn an und beiße in mein
Ziegenkäse-Lavendelhonig-Blaubeer-Sandwich.“
„Wer hätte gedacht, dass ich mir
Selfie-Abende nicht mehr fest vornehmen muss. Dass ich ganz automatisch gern
allein bin, mit mir und meinen Gedanken. Wer hätte gedacht, dass ich, ich, die
mindestens drei Mal pro Woche mit irgendjemandem geskypt hat, eine regelrechte
Abneigung gegen virtuellen Kontakt entwickelt. Dass ich Small Talk vermeide,
überspringe. Und ja, mag sein, manchmal fühlt es sich einsam an. Ich brauche
niemanden, bin stark, bin überlebens- und anpassungsfähig, überall. Ich komme
klar, alleine, irgendwie. Weil ich mit mir klarkomme, niemanden brauche, der
mein Glück ausmacht. Und trotzdem ist es schön, umgeben zu sein, von Menschen,
Menschen, die ich vielleicht kaum kenne, oder gut kenne, oder irgendwelchen
Menschen, weil Nähe, weil Vertrauen, weil Verständnis. Berühren, bewegen,
beruhigen. Aufwühlen, reizen, provozieren. Weil Glück geteilt viel schöner
ist.“
„Hab' ich was im Gesicht oder
wieso grinsen mich alle Leute, denen ich begegne, an? Spiegelcheck. Ah ja, hab
wirklich was im Gesicht. Auf den Lippen, um genau zu sein. Ein Lächeln,
permanent quasi. Also ist wohl nur meine gute Laune ansteckend :)“
„Wünsch dir was. Jetzt. Dann ist
es Frieden. Jetzt. Dann braucht es dazu wohl zentnerweise Feenstaub.“
„Da sitze ich in meinem Brüsseler
Kabuff, bin in Sicherheit und bin gerührt, dass so viele an mich denken. Nur du
nicht. Keine Frage, kein Lebenszeichen. Dabei müsstest du doch wollen, dass ich
dir eins sende. Oder? Denkst du noch an mich? Oft? Manchmal? Wenigstens heute?
Würde es dich kümmern, stieße mir etwas zu? Dich aus der Bahn werfen? Fragst du
dich manchmal, wie es mir geht, was ich mache?
Wenigstens heute? Ich frage mich all‘ das. In Bezug auf dich. Denn ich
vermiss‘ dich, nicht akut, keine Sorge. Eher rational, kalkuliert. Das tut auch
nicht mehr weh, fühlt sich eher an wie ausgekauter Lila-Lieblings-Airwaves-Kaugummi.
Wenn man weiß, dass es der letzte war und man keinen Nachschub kaufen kann. Und
den Geschmack vermisst.“
„Verstecken? Einschließen?
Weglaufen? Ganz bestimmt nicht. Als würde das irgendjemandem irgendetwas
bringen. Sicherheit gegen Freiheit. Als wäre das ein guter Tausch. Als würde es
dir mit ein bisschen mehr Sicherheit besser gehen, wenn du dafür die Freiheit
aufgibst, dahin zu gehen, wo du willst und das zu machen, was dir beliebt. Ich
schlucke, schlucke den kleinen, festen Angst-Kloß so gut es geht hinunter und
öffne die Tür. Erster Schritt nach draußen. Die Sirenen heulen auf, gar nicht
so weit weg. Verängstigte Gesichter, gehetzte Blicke. Und die Sonne scheint,
als wäre nichts gewesen.“
„Man gewöhnt sich an alles. Sogar
an den widerlichen Chlorgeschmack des verkalkten Wassers hier. Man gewöhnt sich
an alles. Sogar an das nasskalte Wetter hier. Man gewöhnt sich an alles. Sogar
daran, dass du fehlst. Man gewöhnt sich an alles. Auch an die Angst?“
„Ja, was suche ich eigentlich? Das Neue, das Extreme, das
Andere. Was gebe ich dafür auf? Ein Zuhause, Zufluchtsort, Sicherheit vielleicht,
Halt ganz sicher. Ist es das wert? Ja. Ich habe aber auch keinen Vergleich.
Muss nachholen, muss nichts missen. Niemanden vermissen. Und ja, das habe ich mir so ausgesucht."
„Sein und mein Lebenskonzept lassen sich nicht vereinbaren.
Stimmt. Aber ist mein Lebenskonzept überhaupt mit etwas kompatibel? Mit
jemandem? Vermutlich kann es nur für sich stehen. Vermutlich besteht deshalb
die Gefahr, einsam zu werden. Aber das nehme ich in Kauf, daran denke ich nicht. Denn jetzt denke ich nur an mich.“
„Faszinierend. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich
endlich weiß, was ich will.“
Und der April?
Ich freue mich auf: Ein wenig Normalität und ein bisschen Brüssel
genießen. Meinen Besuch und einen Ausflug ans Meer. Zu Hause, ganz kurz.
Regensburg. Ein Konzert. Das alltägliche Abenteuer und das wöchentliche
Über-Bord-Werfen meiner Vernunft.
Jule